Science Fiction Jahrbuch 1983
Vorsprung im Titelstück der Single TECHNOLAND. In dieser Welt ist für den gewöhnlichen, mit Makeln und Fehlern behafteten Menschen von heute kein Platz mehr. „Everybody’s Gonna Mutate“, forderten daher Instant Musik auf ihrer gleichnamigen EP. Viele lassen sich von wenigen ein Utopia nach Vorstellungen von Zweckdienlichkeit und optimaler Überwachung konstruieren, in dem dann für sie selbst kein Platz mehr ist. Der „Computerstaat“, ein Stück von Abwärts, frißt seine Kinder. Verständlich, daß in einer solchen Welt auch die Sterne nicht mehr warm und gemütlich funkeln: „Kalte Sterne“ stehen am Himmel der Gruppe Einstürzende Neubauten.
Die Tendenz ist klar. Was sich hier, bei weniger bekannten Gruppen, sehr drastisch und offen manifestiert, das brachten andere mit anderen Mitteln zum Ausdruck und hatten großen Erfolg damit, etwa Grauzone mit „Eisbär“, ebenfalls ein Hit der NDW. Weg von Orwell, hin zu Huxley, wobei die Ähnlichkeit der Themen mitunter verblüffend ist und deutlich zeigt, daß viele die heutige Weichenstellung für die Zukunft längst erkannt haben und sich davor fürchten. Kälte, Chrom, blitzender Stahl – das alles sind Symbole einer zunehmenden Entfremdung unter den Menschen, die zwangsläufig erst den Computerstaat ermöglicht, in den wir alle hineintrudeln. Und wenn wir erst einmal alle in der Hand von Maschinen sind, dann gibt es keinen Ausweg mehr: „Heute Norm – morgen Tod“, so drückt die Gruppe S. Y.P.H. es aus, die sich gleichzeitig mit „Zurück zum Beton“ – beides Stücke ihrer ersten LP – beißend satirisch über Gegenwartstrends ausläßt. Auch für S. Y.P.H. sind die Menschen von heute noch „Unreif für die Zukunft“, sie müssen sich verändern, anpassen, Norm werden, und dann … siehe oben.
Die Zukunft gehört also – diese Ansicht teilen sich überraschend viele Gruppen – den normierten, auf Glück programmierten Massen, die sich alles willenlos gefallen lassen, eine Zukunft, an der Adolf Hitler seine helle Freude hätte. Nicht verwunderlich also, daß auch er bald auftaucht: „Der Führer baut den Klonen eine Stadt“ heißt ein Stück auf der LP W ELCH EIN L AND – W AS FÜR M ÄNNER ! der Gruppe Extrabreit. Extrabreit wurde Ende 1979 von Rolf Möller und Stefan Kleinkrieg gegründet und veröffentlichte im Oktober 1980 die erste Langspielplatte, sarkastisch IHRE GRÖSSTEN ERFOLGE betitelt. Die zweite Platte erschien 1981, und spätestens mit ihr gehörten Extrabreit zu den deutschen Spitzengruppen der – inzwischen war dieser Begriff geprägt – Neuen Deutschen Welle.
Doch wie bei vielen Bewegungen brachte auch die weite Verbreitung und zunehmende Kommerzialisierung der neuen deutschen Musik nicht unbedingt nur Vorteile mit sich. Das experimentelle Element der Musik verflachte zusehends, die Texte spiegeln Gegenwartstrends und Gegebenheiten wider, die teilweise weder kritisch reflektierend noch durchdacht sind. Ideal, Interzone, Spliff und so weiter sind zwar die bekanntesten, keineswegs aber die besten Gewächse im derzeit wild wuchernden Garten der NDW. Und Bands der zweiten und dritten Generation – Zeitgeist, UKW – versanden gar völlig in der musikalischen Bedeutungslosigkeit. Mit Abstrichen muß man auch Extrabreit und Gruppen wie Nichts hier einordnen. Während aber beispielsweise Ideal mit müder Abschlaffmusik und Schlafzimmerblick ihrer Sängerin Annette Humpe, die betont langweilige Texte singt, vornehmlich auf der Neuen Deutschen Geldwelle schwimmen, stehen Extrabreit immerhin zu dem, was sie sagen, wenngleich diese Aussagen – auch die in Science Fiction-Stücken wie „Der Führer …“ manchmal
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