Science Fiction Jahrbuch 1983
übereinstimmend als weniger riskantes sprachliches Problem einstuften. So war ihm das Attribut „unrealistisch“, mit dem ich Technik und Naturwissenschaft im Roman versehen hatte, zu abwertend, er stimmte jedoch zu, um auf den Unterschied zum wirklichen Stand von Technik und Wissenschaft hinzuweisen, das Adjektiv „fiktiv“ einzusetzen.
Beim dritten Typus schließlich wird entscheidend, was auch schon die Beispiele oben verraten: Hinter redaktionellen Einwänden stecken sachliche Unterschiede oder unterschiedliche Bewertungen. Solche Fälle sind der Anlaß für diese Nachbemerkung, denn wir wollten die Differenzen nicht ausbügeln.
In dieser Schlußredaktion arbeiteten wir auch ein Kriterium heraus, das vermutlich für die Berechtigung aller Texte entscheidend ist, die „stellvertretend“ geschrieben werden: Der Autor muß sich, ohne Distanzierungszwänge, der Perspektive des Interviewten angleichen können, denn dieser soll zu Wort kommen, aber er darf dessen Worte nicht wiedergeben, als ob es seine wären oder als ob er ihnen nichts hinzuzufügen hätte: Ein solches Schreiben, das nur authentisch sein kann, wenn die Gemeinsamkeit und die Differenz sprachlich repräsentiert werden, kann es notwendig machen, daß zu einzelnen Punkten beide Standpunkte dokumentiert werden.
Bevor diese Differenz an einem Beispiel erläutert wird, muß kurz ein Überblick über unsere Zusammenarbeit gegeben werden:
Im Zusammenhang erzählte Kurt S. seine Lektürebiographie und seine speziellen Leseerfahrungen mit PR in einem Interview, das zwischen drei und vier Stunden dauerte und auf Tonband aufgezeichnet ist. Vor diesem Interview und danach unterhielten wir uns öfter, so wie sich vor oder nach der Übung die Gelegenheit dazu fand, wobei ich nicht selten gezielte Fragen stellte, die sich ergeben hatten; denn ich schrieb nach dem Interview auf, was ich verstanden hatte und was mir wichtig erschienen war.
Mein Text über das Interview wurde von Kurt S. gegengelesen, kritisiert und dann neu formuliert: In dieser Form bildet er nun den 2. Teil „Das Komplexe ist das Interessante“. Der nächste Schritt war dann, daß ich, angeregt von diesem Interview und punktueller Lektüre, mir einiges notierte, was mir auffiel. Über einzelne Thesen und Beobachtungen unterhielten wir uns. Das Produkt war schließlich der vorliegende Text. Dieses Wechselspiel bis zur Schlußredaktion dauerte ungefähr ein Jahr, oder anders ausgedrückt: Im Interview ist Heft 976 noch nicht bekannt, den Aufsatz schrieb ich jedoch nach der Lektüre von Heft 1000.
Kurt S. war daran interessiert, daß etwas über seine Lektüre veröffentlicht wird, weil in der Öffentlichkeit die PR-Lektüre immer oberflächlich, falsch dargestellt wird von Leuten, die „kritisieren, ohne selbst gelesen zu haben“. Sein Unbehagen wurde nun nicht restlos ausgeräumt, da ich prinzipiell auch einer von diesen Kritikern war, die interpretierten, ohne zu lesen. Sein liebster Hinweis an mich war, wenn ich etwas anscheinend Naives fragte, ich solle erstmal hundert oder zweihundert Hefte durchlesen, dann würde ich durchblicken. Dieser Vorwurf hat mich freilich wenig beeindruckt, obwohl er so zwingend und einleuchtend erscheint, weil ich der Meinung bin, daß meine Unkenntnis es mir erleichterte, wirklich alles zu fragen, nicht vorschnell meine Lektüreeindrücke an die Stelle seiner zu rücken, seine Leseerfahrung aus meiner heraus zu verstehen und zu beschreiben. Das ist die zentrale Interviewregel: Alles muß erfragt werden, damit seine Perspektive sich durchsetzen kann. Mit der Wiedergabe seiner
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