Scream
Mom lag auf dem Esstisch. Ich hab’s genommen und mich auf die Couch gesetzt.«
Jack fragte nicht, warum. Vielleicht wollte er es griffbereit haben, um im Notfall die Polizei zu rufen.
»Wie lange war dein Dad oben?«
»Nicht besonders lange.«
Erics Blick war in die Ferne gerichtet, wie auf einen Wirbelsturm, der näher kam.
»Was war dann, Eric?«
»Es hat rums gemacht, als wenn jemand zu Boden stürzt. So hat’s geklungen.«
Jack legte seine Hand auf den Fuß des Jungen und drückte ihn sanft. »Alles okay?«
Eric zwinkerte mit den Augen. Er nickte.
»Hast du sonst noch was gehört?«
»Er hat gebrüllt, meine Mutter angeschrien.«
»Dein Vater?«
»Nein. Jemand anders.«
Jack wollte abbrechen. Verdammt, was nützt es, ein unschuldiges Kind zu verängstigen. Doch dann sah er das Bild jenes achtjährigen Mädchens namens
(Sidney)
Clara vor sich, friedlich schlafend – und dann von dem Sandmann mit Chloroform betäubt. Er hörte sie flehen: Ich will nicht sterben. Rette mich und meine Familie.
Jacks Verzweiflung mischte sich mit Furcht und Zorn, das überwog letztlich sein Mitgefühl für den Jungen.
»Eric, weißt du noch, was er sagte?«
»Er hat sie beschimpft, mit schlimmen Wörtern. Meine Mom hat geweint und gesagt, es täte ihr leid.«
»Was soll ihr leidgetan haben?«
»Das, was sie getan hat.«
»Was denn?«
»Es war wegen ihrer … Ich … ich bin nach oben gegangen. Er hat nicht aufgehört, ihr wehzutun. Meine Mom weinte, sie weinte, und ich wollte ihr helfen, hab’s aber vor lauter Angst nicht getan.«
Eric kämpfte gegen Tränen an. Temple wurde ungeduldig und schien einschreiten zu wollen.
»Du hast ihn gesehen, nicht wahr?«
Eric nickte. Er atmete schnell und flach.
»Wie sah er aus?«
»Ich war unten im Wandschrank«, antwortete Eric und schluckte. »Ich hatte Angst und die Tür einen Spaltbreit offen stehen lassen. Ich habe ihn gesehen … sein Gesicht.«
»Beschreib es mir, Eric.«
»Es war ganz rot, wie mit Farbe bemalt.«
Hör auf. Wie könnte er dir weiterhelfen?
Clara mit ihren blonden Zöpfen, im Dunkeln festgebunden an einen Stuhl: Hilf mir. Bitte, hilf mir.
»Wie hat er ausgesehen, Eric?«
Eric öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es kam kein Laut daraus hervor. Es schien, als bekäme er keine Luft.
»Erzähl’s mir, Eric.«
Temple stand auf und kam auf die beiden zu.
Eric hatte sich wieder verschlossen. »Ich will meine Mom zurück«, murmelte er. »Ich will ihr sagen, dass es mir leidtut. Ich wollte ihr helfen, hatte aber zu große Angst. Sie … Sie soll zurückkommen.«
Temple drängte Jack vom Bett weg. »Es reicht. Keine weiteren Fragen. Einverstanden, Detective?«
Erics Körper wurde starr. Seine schreckerfüllten Augen waren auf den Albtraum gerichtet, der über ihn hereinbrach. Sie drehten sich nach oben weg, und wie von einem elektrischen Schlag getroffen, schnellte der rechte Fuß nach oben und trat unter das Tablett, auf dem ein Glas Orangensaft und ein Teller Haferflocken standen.
Erics Großmutter schrie auf und verlor fast das Gleichgewicht. Temple drückte den Jungen zurück aufs Bett und klingelte mit der freien Hand nach der Schwester. Jack wich zurück wie in Trance. In seinen Ohren rauschte es, und vor seinem geistigen Auge sah er
Darren Nigro, achtjährig, auf dem Bett liegen und nach seiner Mutter schreien. Wie ein gequältes Tier, so hört er sich an.
Darren Nigro mit vierzehn Jahren, aus dem Krankenhaus entlassen, mit Medikamenten ruhiggestellt und in psychotherapeutischer Behandlung. Lächelnd steckt er den Kopf durch eine Schlinge, um die Stimmen endlich zum Schweigen zu bringen, die ihn um den Verstand bringen.
Eric Beaumont steuert auf ein ähnliches Schicksal zu, allein gelassen mit den Schrecken, die keine Arznei, Therapie oder begütigenden Worte zu lindern vermögen. Er ist allein, und nichts auf dieser Welt kann ihn retten.
Clara, an den Stuhl gefesselt, sieht, wie sich das Skalpell ihrem Hals nähert: Rette mich und meine Mom und meinen Dad, bitte, schnell, dir bleibt nicht viel Zeit!
Jack verspürte plötzlich einen eigentümlichen Durst. Ihm war bewusst, dass Duffy seinen Arm gepackt hatte und ihn nach draußen führte, doch er sah und hörte nur ein weißes Krankenhauszimmer und die Schreie eines gepeinigten Jungen, der schon nicht mehr zu dieser Welt gehörte.
LXI
Alan Lynch stand unter der Dusche, als er das Faxgerät anspringen hörte. Es würde eine Weile dauern, bis der Text ausgedruckt war,
Weitere Kostenlose Bücher