Scream
Worauf er wieder dieses Scheißgrinsen aufgesetzt hat und meinte, dass du gut beraten wärst, ihn anzurufen.«
Jack ließ seinen Blick über den Strand schweifen, auf dem sich Schaulustige versammelt hatten. Er ahnte, was ihm bevorstand, und mochte nicht weiter darüber nachdenken.
»Wozu all diese Fragen zu deiner Person?«
»Der Mord an meiner Frau und die Fälle, an denen ich gearbeitet habe, sind kein Geheimnis. Wer sich darüber informieren will, braucht nur alte Zeitungen aufzuschlagen. Er ist auf was anderes aus.«
»Der Killer füttert ihn mit Informationen, stimmt’s? Er will die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machen.«
Nicht schlecht, Barry, dachte Jack.
»Dieser Sandmann«, fuhr Lentz fort, »bist du schon einen Schritt näher an ihm dran?«
In der Zentrale bekam er diese Frage ständig zu hören, sie nervte ihn wie das Kratzen von Fingernägeln auf einer Wandtafel. Und noch mehr nervte ihn die Neugier in den Augen derer, die ihm eine Art zweites Gesicht zu unterstellen schienen, das Vermögen, die Abgründe dunkelster Gedanken auszuloten, die normalen Menschen verschlossen blieben.
»Ich gebe mein Bestes«, erwiderte Jack. »Tu mir einen Gefallen. Siehst du die Frau da drüben vor ihrem Haus? Kümmere dich um sie. Es scheint, dass sie gleich schlappmacht.«
»Klar, kein Problem. Ach, übrigens, was ich dir noch sagen wollte: Ich bin angenommen.«
»Großartig, Barry. Gratuliere.« Jack schüttelte ihm die Hand.
»Das habe ich nicht zuletzt auch dir zu verdanken. Hättest du mir nicht die Türen geöffnet und mich nicht den richtigen Leuten empfohlen, wäre wahrscheinlich nichts draus geworden.«
»Ach was, du hättest es auch allein geschafft, Barry.«
»Wie auch immer, ich würde mich gern erkenntlich zeigen. Wie wär’s am Wochenende, bei uns zum Abendessen? Patty und ich könnten was Leckeres für dich kochen.«
Jack fühlte sich nicht wohl bei der Vorstellung, mit den beiden am Tisch zu sitzen und zuzusehen, wie sie mit ihrer kleinen Tochter spielten.
»An diesem Wochenende passt’s nicht so gut.«
»Okay. Dann wirf mal einen Blick in deinen Terminkalender und gib mir Bescheid, wann es recht wäre. Wir würden uns über deinen Besuch freuen. Und bring doch auch deine Freundin mit. Wir werden ihr auch keine Fragen über all die berühmten Leute stellen, die sie kennt. Versprochen.«
Barry eilte der Frau zu Hilfe. Jack schaute ihm nach und dachte daran, was für ein Luxus es war, in den Zwanzigern zu sein. Immer engagiert, immer bereit, etwas zu tun oder zu sagen, was aufbauend wirkte.
Jack ging zum Strand. Die heiße Luft war erfüllt von rhythmischer Tanzmusik, dem Rauschen der Brandung, Möwengeschrei und lachenden Stimmen. Er richtete seinen Blick auf einen Vater, der von seinen drei kleinen Söhnen im Sand eingebuddelt wurde, und kam sich plötzlich vor wie ein Fremder im Ausland.
Zu seiner Linken lag die kleine Baumgruppe. Das Gras war schwarz verkohlt, und die Bäume sahen aus wie abgebrannte Streichhölzer. Er blickte zum Trümmerwall, der dort aufgeschüttet worden war, wo gestern noch das Haus der Roths gestanden hatte. Früher hatte häufig schon die Berührung persönlicher Gegenstände wie die Kleidungsstücke eines Opfers oder die Mordwaffe eine Vorstellung in ihm wachgerufen, der er dann gefolgt war, bis er schließlich in ihren Sog geraten und in dunkle Abgründe hineingezogen worden war, in denen er sich selbst verlor und nur noch die kalte Stimme des Profilers hörte, die ihm sagte, wohin er seinen Blick zu lenken und was er zu tun habe. Ja, sie schrieb ihm sogar vor, was er empfinden sollte.
Sechs Jahre lang hatte er auf diese Weise seine Ermittlungen geführt. Mit Erfolg. Er hatte sich in ein Hotelzimmer zurückgezogen, Fotos der Opfer an die Wand gepinnt und versucht, in die Gedanken- und Gefühlswelt des Täters einzutauchen. Was ihm aber, das wusste er, heute nicht mehr gelingen würde.
Als er nach dem Tod seiner Frau in Wut und Verzweiflung abzustürzen drohte, war er auf Drängen von Mike Abrams nach Ocean Point gegangen, eine private psychiatrische Klinik in New Canaan, Connecticut. Während seines sechsmonatigen Aufenthaltes in der Klinik hatte er sich mit Hilfe von Medikamenten und intensiver Therapie wieder fangen können, und ihm war bewusst geworden, dass sich die Albträume, denen er aufgrund seines Berufs ausgesetzt war, die Fotos der Opfer, ihre imaginierten Stimmen und Schreie – dass sich all dies tief in ihm eingenistet hatte und seine
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