Scriptum
weniger edlen und selbstlosen Weg einzuschlagen.»
Die Worte des Monsignore gingen Reilly noch nach, als der Geistliche sich schon längst verabschiedet hatte.
Würde sie anrufen? Bisher war es ihm gar nicht in den Sinn gekommen, daran zu zweifeln. Aber was, wenn der Gesandte des Vatikans
Recht hatte? Was hätte Tess davon, das FBI zu informieren, wenn sie herausbekam, wo
Fonsalis
lag? Agenten würden ausgeflogen werden, um Vance abzufangen, man würde die Strafverfolgungsbehörden vor Ort einschalten müssen,
und die Archäologin würde keinerlei Einfluss auf das weitere Vorgehen nehmen können. Ihr Anliegen würde wenig Beachtung finden,
schließlich ging es den Behörden in erster Linie darum, einen flüchtigen Straftäter zu fassen. Die archäologische Entdeckung
war demgegenüber zweitrangig.
Trotzdem, so tollkühn würde sie nicht sein … oder etwa doch? Was würde sie tun? Selbst hinfliegen?
Ein plötzliches Unbehagen befiel Reilly. Nein, das war doch verrückt.
Er wählte ihre Privatnummer. Tess ging nicht ans Telefon. Als sich der Anrufbeantworter einschaltete, legte Reilly auf, ohne
eine Nachricht zu hinterlassen. Als Nächstes versuchte er es mit der Handynummer, doch nach dem fünften Rufzeichen ertönte
die Ansage ihrer Voicemail.
Reilly begann sich ernsthafte Sorgen zu machen. Er rief die interne Telefonzentrale an und wurde sofort mit dem Officer verbunden,
der das Haus der Chaykins observierte. «Haben Sie Miss Chaykin heute schon gesehen?»
Bedächtig erwiderte der Beamte: «Nein, nicht seit sie gestern spätabends nach Hause gekommen ist.»
Reillys innere Alarmglocken schrillten. Sein Gefühl sagte ihm, dass da etwas ganz gewaltig schief lief. «Gehen Sie an die
Haustür und vergewissern Sie sich, dass bei ihr alles in Ordnung ist. Ich bleibe dran.»
Den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen, stieg der Officer bereits aus dem Wagen. «Wie Sie wünschen.»
Reilly wartete angespannt, während die Sekunden verstrichen. Er stellte sich vor, wie der Officer die Straße überquerte, durch
den Vorgarten zur Haustür ging, die drei Stufen hinaufstieg und klingelte. Wenn Tess sich im Obergeschoss aufhielt, würde
sie noch ein paar Sekunden brauchen, um herunterzukommen. Ungefähr jetzt würde sie die Tür öffnen.
Nichts.
Mit jeder weiteren Sekunde, die verging, wuchs Reillys Unbehagen dramatisch. Schließlich ertönte die Stimme des Kollegen in
der knackenden Leitung. «Sie macht nicht auf. Ich bin ums Haus herumgegangen, nichts deutet auf einen Einbruch hin, aber Miss
Chaykin scheint nicht da zu sein.»
Reilly reagierte sofort. «Okay, hören Sie mir zu», befahl er, während er hastig Aparo heranwinkte. «Sie müssen jetzt sofort
da reingehen und nachsehen, ob das Haus tatsächlich leer ist. Wenn nötig, brechen Sie ein.»
Aparo stand auf. «Was ist denn los?»
Reilly griff bereits nach einem anderen Telefon. «Verständige Customs und Borders.» Er legte eine Hand über die Sprechmuschel
und blickte seinen Kollegen voller Wut und Enttäuschung an. «Ich glaube, Tess ist uns durchgebrannt.»
KAPITEL 51
Tess stand in der Schlange vor dem Check-in-Schalter von Turkish Airlines und starrte auf das Display ihres Handys. Die Nummer
des Anrufers wurde nicht angezeigt. Sie entschied, das Gespräch nicht anzunehmen, denn im Augenblick wollte sie mit keiner
der Personen, die in Frage kamen, sprechen. Nicht mit Leo vom Institut; Lizzie hatte ihre verworrenen Erklärungen für ihre
Abwesenheit sicher inzwischen weitergegeben. Einen Anruf von Doug aus L. A. konnte sie erst recht ohne Gewissensbisse ignorieren. Reilly hingegen … Der Gedanke an ihn lag ihr schwer im Magen. Sie hasste es, ihm das anzutun. Die Entscheidung war eine der schwersten ihres
Lebens gewesen, aber nachdem ihr Entschluss nun einmal gefasst war, konnte sie jetzt nicht mit ihm sprechen. Noch nicht.
Nicht, ehe sie außer Landes war.
Während sie ihr Handy wieder in die Jackentasche steckte, trat sie endlich an den Schalter, um die leidige Eincheck-Prozedur
über sich ergehen zu lassen. Sobald sie damit fertig war, folgte sie der Beschilderung zur Abflug-Lounge, um sich endlich
einen Kaffee zu genehmigen. Auf dem Weg dorthin erstand sie im Zeitschriftenladen ein paar Taschenbücher, die sie schon längst
hatte lesen wollen. Ob es ihr allerdings gelingen würde, ihre Phantasie so weit im Zaum zu halten,dass sie sich wenigstens auf seichte Unterhaltungsliteratur
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