Scriptum
gellte das Kreischen von Bremsen
durch den Tunnel, Räder sprühten Funken. Tess schlug das Herz noch immer bis zum Hals, doch eine Welle der Erleichterung durchströmte
sie.
Eine Station. Ich muss kurz vor einer Station sein.
Sie raffte ihre letzten Energiereserven zusammen und setzte zu einem verzweifelten Endspurt an. Während die Bahn bereits wieder
anfuhr, stolperte Tess in das grelle Licht hinein und stemmte sich auf den Bahnsteig hoch. Die letzten Fahrgäste verschwanden
gerade die Treppe hinauf. Niemand nahm Notiz von ihr.
Tess verharrte einen Moment lang auf allen vieren und rang nach Atem. Dann rappelte sie sich auf, durchnässt, schmutzig und
am ganzen Körper zitternd.
Müde und auf wackeligen Beinen folgte sie den anderen hinauf in die Zivilisation.
KAPITEL 38
In eine Decke gehüllt und beide Hände um einen großen Becher mit heißem Kaffee gelegt, saß Tess in Reillys Wagen, der gegenüber
der U-Bahn -Station an der 103rd Street am Straßenrand parkte. Sie zitterte in ihrer durchnässten Kleidung, und von der Taille abwärts
fühlte sich ihr Körper vor Kälte wie abgestorben an.
Reilly hatte ihr angeboten, sie ins Krankenhaus oder direkt nach Hause zu fahren, aber Tess hatte darauf bestanden, ihm zuerst
zu berichten, was sie herausgefunden hatte. Sie sei nicht verletzt und müsse auch nicht dringend heim, hatte sie beteuert.
Während sie zusah, wie mehrere Polizeitrupps in die Station hinabstiegen, berichtete sie Reilly von ihrer Begegnung mit Vance.
Dass Clive ihr vorgeschlagen hatte, sich an den Professor zu wenden, dass sie Vance bereits vor Jahren einmal persönlich kennen
gelernt hatte, dass sie auf gut Glück auf dem Friedhof nach ihm gesucht hatte in der Hoffnung, er könne ihr helfen herauszufinden,
was hinter den Vorfällen im Metropolitan Museum steckte. Sie gab wieder, was sie von Vance gehört hatte: die Geschichte vom
Tod seiner Frau, dass er den Priester dafür verantwortlich machte, und wie er gesagt hatte, er wolle «alles in die rechte
Ordnung bringen». Letzteres schien Reilly ganz besonders zu interessieren. Tesserzählte auch die Legende von dem sterbenden Templer und dem Mönch, dessen Haar weiß geworden war, und berichtete, wie Vance
auf sie geschossen hatte und sie später in dem Keller wieder zu sich gekommen war. Wie sie dort von jemandem aufgestört wurden,
wie sie Schüsse gehört hatte und schließlich entkommen war.
Während sie erzählte, stellte sie sich vor, wie Suchtrupps in die unterirdischen Tunnel ausschwärmten und dieses albtraumhafte
Labyrinth nach Vance durchkämmten. Allerdings nahm sie stark an, dass er längst über alle Berge war. Der Gedanke an die Tunnel
ließ sie erneut schaudern. Sie war nicht erpicht darauf, noch einmal dort hinabzusteigen, und hoffte, dass man es nicht von
ihr verlangen würde. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Angst ausgestanden … oder wenigstens nicht seit dem Überfall auf das Museum, der nicht einmal eine Woche zurücklag. Offenbar war sie da in eine
ziemlich üble Pechsträhne geraten.
Nachdem sie geendet hatte, schüttelte Reilly den Kopf.
«Was ist?», fragte sie.
Er ließ nur wortlos den Blick auf ihr ruhen.
«Warum sehen Sie mich so an?», beharrte sie.
«Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie verrückt sind?»
Sie stieß erschöpft die Luft aus. «Warum?»
«Ich bitte Sie, Tess. Sie sollen nicht auf eigene Faust irgendwelchen Hinweisen nachjagen und versuchen, diese Angelegenheit
im Alleingang aufzuklären. Verdammt, Sie sollen überhaupt nicht versuchen, sie aufzuklären, Punkt. Das ist mein Job.»
Tess brachte ein Grinsen zustande. «Sie haben wohl Angst, ich könnte Ihnen allen die Show stehlen, stimmt’s?»
Reilly ließ sich nicht auf Scherze ein. «Ich meine das ernst.Sie hätten schwer verletzt werden können … oder Schlimmeres. Sie begreifen wohl noch immer nicht? Diese Angelegenheit hat bereits mehrere Menschen das Leben gekostet.
Das ist kein Spaß. Denken Sie denn überhaupt nicht an Ihre Tochter?»
Tess versteifte sich sichtlich. «Ich dachte, ich treffe mich mit einem Geschichtsprofessor zu einer Tasse Kaffee und einem
akademischen Plausch. Ich hab doch nicht damit gerechnet, dass er mit diesem Ding –» Sie stockte.
«Taser.»
«– mit diesem Taser auf mich schießt, mich in seinen Wagen packt und mich durch rattenverseuchte Abwasserkanäle jagt. Herrgott
nochmal, der Mann ist Professor für Geschichte. Solche Leute sind
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