Scriptum
Male war er für sie da gewesen.
Während Tess darauf wartete, dass Reilly sich ein wenig beruhigte, versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. Nach einer Weile
blickte sie ihn an. «Es tut mir Leid, wirklich … Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, mir standen lauter schreckliche
Bilder von Eingreiftruppen und Freilassungsverhandlungen vor Augen und –»
«– und Sie sind in Panik geraten. Das verstehe ich, es ist eine völlig normale Reaktion. Ich meine, dieser Kerl hat schließlich
Ihre Tochter bedroht, Ihre Mutter, aber trotzdem …» Er stieß frustriert die Luft aus und schüttelte noch einmal den Kopf.
«Ich weiß. Sie haben Recht. Es tut mir Leid.»
Er sah ihr stumm in die Augen.
Es machte ihm schwer zu schaffen, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte, und ihre Tochter ebenfalls. Ihm war auch klar, dass
er ihr keinen Vorwurf machen durfte. Sie war keine FB I-Agentin , sie war Archäologin und Mutter. Er konnte nicht von ihr erwarten, in einer derartigen Extremsituation einen kühlen Kopf
zu bewahren und überlegt zu handeln, wie er selbst es getan hätte. Nicht, wenn es um ihre Tochter ging. Nicht nach allem,
was sie an diesem Tag schon durchgemacht hatte.
Nach längerem Schweigen sagte er: «Hören Sie, niemand kann Ihnen verübeln, dass Sie getan haben, was Ihrer Meinung nach für
Ihre Familie das Beste war. Ich hätte mich vielleichtselbst nicht anders verhalten. Die Hauptsache ist, dass Sie alle in Sicherheit sind. Das ist das Einzige, worauf es wirklich
ankommt.»
Tess nickte erleichtert. Doch dann sah sie wieder Vance vor sich, wie er in ihrem Wohnzimmer gestanden hatte, und sie wandte
schuldbewusst ein: «Aber … ich habe ihm die Dokumente zurückgegeben.»
«Uns bleiben immer noch die Fotos davon.»
«Sofern Ihr Fotograf nicht vergessen hat, seine Kamera einzuschalten.»
Reilly brachte ein halbherziges Lächeln zustande. «Ich glaube, darüber brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.» Mit einem
Blick auf seine Armbanduhr fuhr er fort: «Dann will ich Sie mal nicht länger behelligen, Sie möchten sich jetzt bestimmt ausruhen.
Ich postiere zur Sicherheit einen Einsatzwagen vor Ihrem Haus. Und denken Sie daran, die Tür hinter mir abzuschließen.»
«Machen Sie sich keine Sorgen um mich.» Ganz plötzlich wurde ihr bewusst, wie verletzbar sie war. Wie verletzbar sie alle
waren. «Ich habe sonst nichts, was er braucht.»
«Sind Sie sicher?» Er sagte das nur halb im Scherz.
«Großes Indianerehrenwort.»
Er hatte wirklich etwas an sich, das sie dazu brachte, sich zu entspannen.
«Okay», schloss Reilly. «Wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen, kommen Sie doch bitte morgen früh zu uns in die Stadt. Ich
würde die Sache gern noch einmal mit dem ganzen Team in sämtlichen Einzelheiten durchgehen, damit alle auf demselben Stand
sind.»
«Kein Problem. Lassen Sie mich nur zuerst meine Mom und Kim in den Flieger setzen.»
«Gut. Dann sehen wir uns also morgen.»
«In Ordnung.» Sie stand auf, um ihn zur Haustür zu begleiten.
Auf dem Weg durch den Garten hielt er noch einmal inne. «Wissen Sie, vorhin in der Stadt hatte ich Sie eigentlich noch etwas
fragen wollen.»
«Was denn?»
«Die Dokumente …» Er zögerte. «Warum haben Sie sie eigentlich mitgenommen? Ich meine, Sie müssen es doch ziemlich eilig gehabt haben, da
rauszukommen … und trotzdem haben Sie sich die Zeit genommen, das Manuskript einzustecken.»
Sie konnte sich nur sehr vage daran erinnern, was in ihr vorgegangen war. «Ich weiß nicht, die Papiere lagen eben da», brachte
sie heraus.
«Schon, aber … Nun ja, es überrascht mich einfach. Ich hätte erwartet, Sie würden an nichts anderes denken, als schnellstmöglich aus diesem
Keller zu verschwinden.»
Tess begriff, worauf er hinauswollte. Sie wich seinem Blick aus.
«Werden Sie es schaffen, sich in Zukunft herauszuhalten», fragte er, «oder muss ich Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit einsperren?»
Es war ihm offenbar todernst damit. «Wie viel bedeutet Ihnen diese Sache, Tess?»
Sie lächelte schwach. «Sie hat … einen ganz besonderen Reiz. Das Manuskript, die Geschichte, die dahinter steckt, es drängt mich einfach, mehr darüber zu
erfahren. Herauszufinden, was es mit dieser ganzen Sache eigentlich auf sich hat. Sie müssen verstehen», fuhr sie eindringlich
fort, «die Archäologie ist … kein besonders dankbarer Beruf. Nicht jedem
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