Scudders Spiel
die Wahl habe.«
»Einstweilen haben Sie die Wahl, Pete Laznett. Haben Sie vor zu bleiben?«
Sie war gut. Warm und ungezwungen. Aber: »Hat meine Mutter es Ihnen nicht gesagt?«
»Ich habe sie nie danach gefragt. Maudie ist ein bißchen altmodisch in solchen Dingen.«
»Ich meinte, hat sie Ihnen nicht gesagt, daß ich bleiben würde?«
»Kein Wort. Sie sagte nicht mal, daß sie Sie erwartet. Ist Ihr Besuch eine Feiertagsüberraschung?«
»Nun … vielleicht hat sie es vergessen.« Kein Wort? Und sie sprachen die meisten Tage miteinander?
»Vielleicht.« Das Mädchen kam einen Schritt näher. Hinter ihr funkelte das Wasser der Bucht im Sonnenschein. »Ich bin Grace Shakewell.«
»Sehr erfreut.« Er streckte den Arm aus dem heruntergekurbelten Wagenfenster, und sie tauschten einen Händedruck. Aber der Gedanke an die Verschwiegenheit seiner Mutter schmerzte. »Was ist mit meinem Vater? Erwähnte er nicht, daß ich kommen würde?«
»Scudder? Der ist ein vielbeschäftigter Mann.«
Womit entweder nichts oder zuviel gesagt war.
Vielleicht spürte sie es. »Na ja«, sagte sie, »Sie werden weiterfahren wollen. Das Schulman-Haus ist noch ein Stück die Straße hinauf. Bei dem alten Schuppen der Küstenwache nach links, dann die erste rechts. Es ist riesig. Sie können es nicht verfehlen.«
»Danke.«
Natürlich konnte er es nicht verfehlen. Er kannte die Landzunge, jede Straße, jedes Haus, wie er sein eigenes Spiegelbild kannte. Er hatte aus ganz anderen Gründen gehalten.
Eine Frage blieb. »Wenn Ihnen niemand gesagt hat, daß ich kommen würde, wie wußten Sie dann, wer ich bin?«
Grace neigte den Kopf auf die Seite und musterte ihn aus schmalen Augen. »Sie sind Scudder Laznetts Junge. Das sieht man auf einen Kilometer. Wußten Sie es nicht?«
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ZWEI
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Das Schulman-Haus war noch ein Stück die Straße hinauf. Beim alten Schuppen der Küstenwache nach links, dann die erste rechts. Es war riesig. Er konnte es nicht verfehlen.
In einem Schauer aufspritzenden Splitts war er weggefahren und hatte sie stehen lassen. Sie hatte ihm etwas nachgerufen, aber er hatte nicht hingehört. Hatte es nicht versucht. Er war Scudder Laznetts Junge. Man sah es ihm kilometerweit an.
Im Laufe von siebzehn Jahren hatte er eine Identität aufgebaut, zum Guten oder zum Schlechten. Die Leute anerkannten sie: Geschäftskollegen, Freunde, Emma und die Mädchen vor ihr. Er anerkannte sie selbst. Das Gesicht im Spiegel, das Bündel der Eigenschaften, alles unverwechselbar. Nicht ideal, ganz gewiß nicht, aber sein eigen. Im Laufe von siebzehn Jahren, zum Guten oder zum Bösen, manchmal durch Zufall, aber meistens durch Absicht, selbstgemacht im tiefsten Sinne des Wortes. Ein Mann ohne äußere Bezugspunkte.
Und nun sollte dies alles mit ein paar freundlichen Worten von einem unbefangenen Mädchen weggenommen sein? Scudder Laznetts Junge. Scudder Laznetts Gesicht. Was noch von Scudder Laznett?
Er wußte, daß er sich dem Mädchen gegenüber schlecht benommen hatte, und dachte daran, umzukehren und sich zu entschuldigen, aber was konnte er sagen? Du hast mein Selbstgefühl zerstört? Ich hatte mich für einzigartig gehalten, vollkommen wie aus Jupiters Stirn in dieser Welt entsprungen, und du hast mich zerstört? Das heißt, meine Eitelkeit ist zerstört, denn Scudder Laznett ist nur ein Mann wie jeder andere, mit Tweedjacken und Sonntagsessen, Familienbesuchen, Gelächter; weit mehr, sicherlich, als einer, der bloß herumschreit, häßlich und unrasiert, mit Speichel um sich sprüht und grotesk fuchtelt? Denn dies, so ungerecht war die Erinnerung, war das einzige Bild, das in seinem Gedächtnis reale Substanz hatte …
Also kehrte er nicht um. Und wenn Grace und er wieder zusammenkämen, was wahrscheinlich war, da die Landzunge eine überschaubare Bühne war, würde er Scudder Laznetts Junge sein, und Maudies Junge, was man ihm, wie die Dinge lagen, zugute halten würde.
Er fuhr statt dessen weiter, bog bei dem alten Schuppen der Küstenwache nach links und nahm dann die erste Seitenstraße nach rechts. Was ihn erwartete, waren Erklärungen, nichts Schlimmeres. Nicht die Frage, wer er war, denn diese war im Alter von vierunddreißig Jahren hinreichend beantwortet. Aber möglicherweise einige der Ursachen.
Die Schulman-Villa war riesig. Er erinnerte sich deutlich an sie. Zehn Schlafzimmer, alle mit Blick auf den Ozean, die Wohnräume des Personals im Mansardendach nicht mitgerechnet. Und ein Erdgeschoß, in dessen
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