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Scudders Spiel

Scudders Spiel

Titel: Scudders Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Stufen hinauf. Vor ihm öffnete sich die Tür in tiefe Schatten. Und seines Vaters Stimme, kräftig wie eh und je, unpassend und erschreckend vertraut, rief: »Maudie!« Rief: »Er ist gekommen, Maudie!« Rief: »Ich habe es dir gleich gesagt!« Rief: »Und nun ist er da, gottverdammich!«
    Die Tür fiel zu. Die Veranda war leer, wieder still. Nur der Schaukelstuhl tickte leise, während er allmählich zur Ruhe kam. Pete ging weiter, trug seinen Koffer die Stufen hinauf in den Schatten. Er war nicht überrascht, beinahe beruhigt. Wenn man Scudder Laznetts Junge war, wußte man wenigstens, wo man stand. Keine Zweideutigkeiten. Familienbesuche, vielleicht, aber niemals die Tweedjacken, die Sonntagsessen, das Gelächter. Krank? Niemals. Im Sterben liegend? Natürlich nicht. Und sein ursprünglicher Vorsatz war so gut wie erfüllt: zurückgehen, sich frei machen und dann den eigenen Weg fortsetzen.
    Selbst der Traum störte ihn nicht mehr. Wachträume waren für die Schwachen. Und er war Scudder Laznetts Junge.
    Er stieß die Haustür auf und ging hinein. Eine Eingangshalle, halbdunkel wie eine Höhle, mit unbestimmten, ans vergangene Jahrhundert gemahnenden Umrissen von niedrigen Teakbüffets und Ledersesseln und kühlen, nüchternen Abstrakten in breiten Chromrahmen. Konische Ständerlampen. Und eine auf das funktionale Skelett reduzierte Treppe, die zu einer blendend hellen, vom Sonnenschein durchstrahlten Galerie hinaufführte.
    Er stellte den Koffer neben sich, rief: »Mutter?« Irgendwo im Obergeschoß, sehr entfernt, schlug eine Tür zu. Sein Vater, dachte er, der die üblichen fünf Zentimeter Fichtenholz zwischen sich und jede Form von Verwicklung legte.
    Er rief wieder, diesmal lauter: »Mutter?«
    »Bin in der Küche!«
    Passend. Aber: »Wo, zum Teufel, ist die Küche?«
    »Geh deiner Nase nach, Junge! Oder hast du vergessen, wie eine gute Fischsuppe mit Muscheln riecht?«
    Er schnupperte. Und über dem Geruch von Teakholz, Fichte und Leder ein leiser Duft von Meer, würzig und zart. Nein, er hatte es nicht vergessen. Er ging zögernd weiter, durch riesige Räume, getäfelt mit gebleichtem Zedernholz, kaum wahrgenommen, mit brokatbezogenen Sofas und aus Treibholz gefertigten Lampen und protzig gemauerten Kaminen, Fenstern, die gefüllt waren mit Meer und Himmel, bis er zu einem in weiß gehaltenen Speisezimmer mit durchgehenden Fenstern kam, und jenseits davon, in einem komplizierten Museum von einer Küche, seiner Mutter.
    Von den Gesprächen am Bildschirm hatte er geglaubt sie zu kennen. Aber nicht ihre Maße, ihre Kleinheit, ihre dickliche Bedeutungslosigkeit. Sie stand an einem langen elektrischen Herd, und als sie sich zu ihm umwandte, schien sie allen Müttern gleich, die er je kennengelernt hatte. Den Müttern anderer Jungen, die in geblümten Schürzen an elektrischen Herden und Anrichten standen. Siebzehn Jahre, die seinem Vater so wenig genommen hatten, vielleicht etwas körperliche Fülle, das Fleisch von den Wangen, hatten dies aus ihr gemacht.
    »Also bist du gekommen«, sagte sie.
    Und er war unvorbereitet. »Ich … ich hatte es versprochen.«
    »Scudder sagte auch, daß du kommst. Aber ich hatte nicht darauf gezählt. Wir alle haben unser Leben zu führen.«
    Er suchte nach Worten. »Es ist lange her.«
    »Junge, Junge …« Sie kam einen Schritt näher. »Also bist du wirklich gekommen.«
    Nun ging er zu ihr. In einer Hand hatte sie eine lange rot emaillierte Schöpfkelle, und hinter ihr dampfte es aus großen Stahltöpfen auf dem Herd. Sie hob ihm eine feuchtheiße Wange entgegen, daß er sie küsse.
    Er küßte sie.
    Plötzlich hatte er beide Arme um sie gelegt und drückte sie an sich. Sie war rundlich, fest und kräftig. Sie roch nach Essen und frisch gewaschenen Kleidern. Er umarmte sie mit verzweifelter Heftigkeit. Ihr Scheitel reichte ihm kaum bis zum Kinn. Er ließ seine Wange auf ihrem spärlichen, straff zurückgekämmten grauen Haar ruhen, schloß die Augen und drückte sie an sich, bis er durch den Oberteil ihrer geblümten Schürze ihren Herzschlag fühlen konnte.
    Der Augenblick verging. Er öffnete die Augen und sah sich in diesem komplizierten Museum von einer Küche eine stämmige alte Frau mit einer roten Schöpfkelle in der Hand umarmen, eine Fremde. Er war erstaunt, verlegen, froh. Denn sie war unleugbar seine Mutter.
    Er ließ sie los und trat zurück. »Es ist lange her«, wiederholte er. »Gut siehst du aus.«
    Sie lächelte. »Scudder ist es, zu dem du willst«, sagte

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