Scudders Spiel
allgemein in Verruf kommen konnte. Arme Effie Googins – Karl, Jake und Josh, in siebzehn langen Jahren, und alle bekannt und numeriert. Und Harry Carpenter tot. Und was war mit dem alten Meikeljohn – machte er noch immer die Müllabfuhr? Aber Pete fragte nicht: er hatte genug von Namen, und von den traurigen, unzeitgemäßen Gesichtern, die zu ihnen gehörten.
»Ich habe viel nachzuholen«, sagte er. »Es ist lange her.«
»Nicht unsere Schuld, Junge. Du hättest bloß …« – seine Mutter brach ab, ging zurück zu ihrem Elektroherd. »Nimm einen von den Töpfen und trag ihn hinaus zu den Stufen, ja? Millie muß jeden Augenblick kommen, sie abzuholen.«
Sie selbst nahm den zweiten Topf und trug ihn zur äußeren Tür. »Ich hatte gelobt, daß ich dich nie bedrücken wollte. Aber ich wußte, daß es nicht einfach sein würde.« Sie öffnete die Tür. Auf dem Weg hinaus, ohne sich umzuwenden, setzte sie hinzu: »Wir müssen weitermachen, Junge. Tut mir leid.«
Nicht einfach. Nein. Pete nahm den zweiten Topf vom Herd und folgte ihr. Sein Instinkt riet ihm, sich zu entschuldigen, aber wofür? Schuldzuweisung war eine sterile Beschäftigung. Und eine halbe Lebenszeit war jenseits des Bedauerns.
Er stellte den Topf neben ihrem auf die Stufe. »Was nun?« fragte er.
»Ich hole den dritten Topf, und Millie bringt den Siedekessel. Da schütten wir alles hinein.«
Sie ging wieder hinein, um den letzten großen Topf mit Muschel- oder Fischsuppe zu holen, und ließ ihn vor der Tür auf dem Hof zurück. Durch die Küchentür gelangte man auf einen kleinen gepflasterten Hof, der von hölzernen Nebengebäuden, Garagen, Werkstätten, Holzschuppen umgeben war. Ober den Garagen erhob sich ein steil gegiebelter Uhrturm. Das Zifferblatt, viereckig und häßlich, hinter Glas, zeigte zehn nach zwölf. Das Brandungsgeräusch war laut hier draußen, und durch einen Torbogen zu seiner Rechten war die Schafinsel zu sehen. Im schmalen Schattenstreifen gegenüber hockten schläfrige Hühner.
Seine Mutter kam zurück. »Millie hat sich verspätet. Sie soll mit ihrem Derzeitigen Krach haben. Warum diese Leute nicht zur Ruhe kommen, werde ich nie begreifen.«
Pete nahm ihr den Topf ab und stellte ihn zu den anderen auf die Stufe. »Ich dachte«, sagte er, »hier draußen auf der Landzunge sei alles zur Ruhe gekommen.«
Bis auf Effie Googins natürlich. Die auch zur Ruhe gekommen war, aber auf andere Weise.
»Zur Ruhe gekommen? Die Zeit ist dagegen, Junge.«
Er überlegte, ob er sich auf eine Diskussion einlassen sollte; sie lebte in der Vergangenheit: heutzutage konnte man wählen. Beständigkeit war die Devise. Es kam darauf an, zu wissen, was man wollte, und dabei zu bleiben. Aber er blieb still. Zur Ruhe kommen hatte für sie offenbar verschiedene Bedeutungen, je nachdem, ob sie den Begriff auf Millie Carter oder auf sich selbst anwendete. So mochte sie als Zwang oder Beengung empfinden, was ihm Freiheit bedeutete.
Er zeigte über den Hof. »Du hältst Hühner, sehe ich.«
»Hab das bei einem Mann noch nie gemocht. Herablassendes Gerede, meine ich.« Ihre Stimme war ohne Nachdruck, aber ihr Blick suchte den seinigen und hielt ihn fest. »Ich bin kein Dummkopf, Junge. Behandle mich nie, als ob ich es wäre.«
Er schwindelte. »Wie meinst du das?«
Und wurde von der geräuschvollen Ankunft eines großen gelben Kombiwagens im Hof gerettet. Oder dachte es.
Aber: »Ich meine, ich brauche deshalb nichts für Liebenswürdigkeiten übrig zu haben. Das war nie so. Der eine lebt so, der andere so. Wenn du glaubst, daß ich unrecht habe, sag es!«
Der Kombiwagen wendete, setzte ruckartig zurück und rutschte ein Stück über das Pflaster, ehe er zum Stillstand kam. Seine Mutter winkte der Frau am Steuer zu. »Tu mir den Gefallenjunge!«
Sie ging auf den Wagen zu und öffnete die breite Hecktür. »Du hast dich verspätet, Millie«, sagte sie.
Pete blieb bei der Haustür und sah zu, wie die drahtige Frau mit den kurz gekräuselten grauen Locken die Tür aufstieß und die Beine herausschwang. Millie Carter – Weihnachts-Freßkörbe für die ganze Ferry Lane …
Sie ging zum Heck des Wagens, wo seine Mutter bereits einen großen Siedekessel aus Aluminium herauszog. »Du tust mir leid, Maudie Laznett.« Sie faßte mit an, und gemeinsam stellten sie den Kessel auf die Pflastersteine. »Wird es dir nie zuviel, so recht zu haben?«
»Eines Tages vielleicht, meine Liebe. Schließlich ist es das einzige wirkliche Vergnügen, das mir
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