Scudders Spiel
Sie würde viel lieber direkt mit den Patienten umgehen.«
»Warum tut sie es dann nicht?«
»Es ist schwierig. Zum einen gibt es in der Stadt keine freien Stellen, also würde es bedeuten, daß sie fortziehen müßte. Und dann …«
»Ich vermute, sie ist in dich verschossen, Junge.«
»Das ist nicht wahr.« War es nicht, nicht in dieser Weise, wie seine Mutter es meinte. Emma war ausgeglichen. »Sie mag die Stadt. Und andererseits hat sie die Computer-Unterstützung. Heutzutage ist die Diagnose …«
»Es gibt Datenanschlüsse, nicht wahr? Taschengeräte?« Sie wandte sich ab, die Sache war für sie erledigt. »Dann lies deinen Brief. Frühstück wartet.«
Er ließ sie gehen. Emma mochte die Stadt. Er las seinen Brief.
Lieber Pete,
bin gerade von den Vorfahren heimgekommen. Es geht ihnen gut. Allerdings hätten sie sich gefreut, wenn Du mitgekommen wärst, wie letztes Jahr. Du hast ihnen wirklich gefallen. Aber ich sagte ihnen, daß du dieses Jahr verreisen mußtest, um Deine eigenen Vorfahren zu besuchen, also mußten sie das billigen. Der männliche Vorfahr beschäftigt sich damit, draußen in der Garage einen Simulator-Bausatz zusammenzubasteln. Er hatte schon verschiedene Video-Einblendungen mit den Herstellern, aber das Ding funktioniert noch immer nicht richtig. Wirklich lächerlich – es vermischt die Simulationen so, daß du halb auf einem Surfbrett vor einer hawaiianischen Sturzwelle und halb in Notre Dame bist. Ich habe es mir angesehen, aber ich bin bloß Ärztin. Die Vorfahren denken, weil ich mit einem Diagnostikrahmen umgehen kann, sei ich ein elektronisches Genie. Ich mußte ihnen sagen, daß da nichts zu machen ist …
Pete blickte vom Ausdruck auf. Seine Mutter machte ihn ratlos. Wenn die Bombe wirklich der Grund war, daß sie ihn geholt hatte, wenn sie wirklich argwöhnte, daß Scudder etwas damit zu tun hatte, warum, zum Kuckuck, konnte sie es dann nicht sagen? Wovor fürchtete sie sich so? Gestern, unten an der Landspitze, hatte sie gesagt, sie wolle mit ihm über seinen Vater sprechen. Und was dann? Nichts. Manchmal war es, als ob sie wünschte, er wäre nicht gekommen.
Er runzelte die Stirn. Er wußte, was es war. Sie war wie eine Frau, die befürchtet, unter einer schrecklichen Krankheit zu leiden, und den Arzt kommen läßt, ihn dann aber nicht sehen und sich nicht mit ihm aussprechen will. Gleichwohl erwartet sie geheilt zu werden.
Aber – geheilt von Scudder? Sicherlich war es dafür zu spät. Er hatte sein Leben lang Bomben gemacht, von der einen oder der anderen Art.
Seufzend wandte er sich wieder seinem Brief zu.
… Wie auch immer, ich bin wieder zurück und komme gerade aus der Klinik. Ein Stapel Anrufe von gestern abend hatte mich dort erwartet. Marie hat Karten für das Patterson-Konzert am Donnerstag. John will mit mir über einen Plan sprechen, den er zur nichtverbalen Kommunikation mit autistischen Patienten hat. Er will es mit dem McPhee-Kopfhörer versuchen. Hört sich wie ein Durchbruch an. Und die Schaeffers wollen für die Aufführung der neuen holographischen Verfilmung von Krieg und Frieden eine Party zusammenbringen. Und vielleicht gehe ich am Samstag zu den Harrys hinüber – er will sein Haus wieder neu umgestalten und braucht meine Hilfe mit den Farbverschiebungen. Du weißt, wie hoffnungslos er ist. Letztes Mal verkauften sie ihm Blau in Rosa – ganz nett, solange die Sonne schien, aber wenn es regnete, sah es bei ihm aus wie im Boudoir eines Exhibitionisten oder Transvestiten … Nun, ich muß gehen. Viel Glück zu deiner Reise in die vergangenen Zeiten. Wer sagt, er brauche keine Familie, ist ein Lügner. Und das sagt Dir Deine
Hausärztin. Bis wann immer,
Emma
Er zerknüllte den Ausdruck zu einem Ball und zielte nach dem Papierkorb. Dann besann er sich eines Besseren, strich ihn wieder glatt und steckte ihn in die Tasche. Emma war ein Stadtmensch. Reines Gold. Er konnte ihn später noch wegwerfen.
Als er die Küche betrat, stand seine Mutter gebeugt vor dem Backofen. Mit ihrer geblümten Schürze und dem zusammengesteckten Haarknoten hätte sie die Küchenhilfe sein können. Aber er hatte gesehen, wie sie frei und selbstbewußt durch die Schulman-Villa geschritten war. Diese Räume gehörten ihr. Scudder war es, so wurde ihm klar, der noch immer der Diener war.
Seine Mutter richtete sich auf. »Pfannkuchen«, sagte sie. »Pfannkuchen und Ahornsirup. Dein Lieblingsessen.«
Sein Lieblingsessen. Früher einmal, vor mehr als
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