Scudders Spiel
hatte sich bereits umgewandt und nach einem Augenblick folgte er ihr den Pfad entlang. Sie erreichten den Plankenweg und gingen weiter, bis ihre Wege sich trennten: sie ging zum Haus der vormaligen Alice Wilks, er zur Schulman-Villa. Bis zu diesem Punkt hatten sie kaum gesprochen. Weil er die Antwort auf seine Frage wußte und sie wahrscheinlich auch.
Sie standen an der Wegscheide. Der Nebel begann sich aufzulösen, über den Bäumen zeigten sich Flecken blauen Himmels.
»Bis später«, sagte sie.
»Heute abend?«
»Komm zum Abendessen!« Dann: »Es tut mir leid, ich wollte den Mund halten.«
»Übertriebene Verschwiegenheit ist abscheulich. Hat deine Mutter dir das nicht gesagt?«
Sie lachte. »Du bist wirklich unmöglich. Abendessen um acht.«
Sie trennten sich. Das Haus der Carters, seitab zur Rechten, war jetzt in riesigen Umrissen sichtbar. Sonnenlicht strömte in schräg einfallenden Säulen durch die Bäume. Pete machte sich auf dem Heimweg. Scudder Laznett. Wenn hier draußen jemand Bomben hochgehen ließ, dann mußte es Scudder Laznett sein. Bomben, die keine Spuren hinterließen, die alle Bildschirme zerstörten, ein halbes Hundert Fenster zerbrachen, Sadie Platts alten Anbau in einen Bretterhaufen verwandelten … Aber es war nicht der Weltuntergang. Der angerichtete Schaden war nicht groß – wenigstens darauf hatte Scudder geachtet. Ein Loch im Wald, das bald zuwachsen würde. Und überhaupt, wenn man sich auf ein Abendessen mit Grace freuen konnte, und ohne Mundhalten, war es nicht der Weltuntergang.
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VIER
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»Scudder ist schon fort. Du hast ihn gerade verpaßt. Holt Ersatzteile aus der Stadt. Sagte, du könntest seine Bildschirme benutzen.«
Pete stieg die Stufen zur überdachten Veranda hinauf. Ebensogut konnte man sagen, daß Scudder gerade ihn vermißt hatte.
Maudie stand in der Türöffnung, einen zusammengefalteten Zeitungsausdruck unter dem Arm. »Da ist ein Brief für dich. Wo bist du gewesen?«
Er blieb stehen. Nicht der Weltuntergang – es war eine Augenblicksreaktion gewesen, eine Abwehr, weil der Tag sich zu gut angelassen hatte, als daß er bereit gewesen wäre, sich ihn verderben zu lassen. Aber die Aussicht, am Abend mit Grace zusammen zu sein, versprach den Tag auch ohne solch zusätzlichen Schutz sicher zu machen.
»Drüben im Wald«, sagte er mit Bedacht. »Hab mir den Krater angesehen, den diese Bombe machte.«
»Das Frühstück wartet.« Sie trat zuvorkommend zurück, um ihn eintreten zu lassen. »Wie hast du die Stelle gefunden? Hat Scudder es dir gesagt?«
Er ließ sie im Glauben. Sie würde schon durch Grace darauf kommen. »Er sagte, es hätte alle Bildschirme auf der Landzunge zerstört.«
»So war es. Eine Woche Arbeit, mindestens.« Sie ging voraus in die Küche. Seine ›Bombe‹, so bemerkte er, war unbeanstandet geblieben.
»Brachte diesen alten Anbau von Sadie Platt zum Einsturz. Ein Bretterhaufen, sonst nichts.«
Kommunale Ereignisse, kommunale Redensarten. Millie, Armon, Hartford Ganz, alle würden ihm das gleiche erzählen, bis hin zum Bretterhaufen. Die Landzunge war, wie jemand mal gesagt hatte, ein kleiner Ort.
Aber er ließ sich nicht ablenken. »Muß ein ziemlich mächtiger Knall gewesen sein, dann.«
»Und ob.« Seine Mutter bog in ein Zimmer ab, in dem er noch nicht gewesen war. Das Herrenzimmer. Er erkannte es sogleich von den Video-Gesprächen wieder. »Dein Brief, Pete. Nimm ihn dir!«
Er ging hinein zum Datenanschluß, tippte seinen Personalkode. »Hörte sich wie eine Bombe an, nicht wahr?«
»Hab nie eine Bombe gehört.« Sie blockte ab.
»Scudder sagte, es sei ein UFO gewesen.«
»Nie davon gehört.« Wieder abgeblockt. »Willst du deinen Brief nicht lesen?«
Er hing aus dem Ausgabeschlitz. Er riß ihn ab, blickte davon auf zu ihr. Sie erwiderte seinen Blick fest, eine stämmige, dickliche alte Frau, die niemals bitten würde. Daß sie ihn zum Kommen veranlaßt hatte – und auch dies ließ sich ableugnen –, war ihre Grenze gewesen. Nun war es an ihm, ob er barmherzig sein wollte.
Das Schweigen zog sich hin. »Von wem ist dein Brief?« fragte sie.
Er blickte darauf. Und war barmherzig. »Von einer jungen Frau namens Emma«, sagte er. »Wir sind befreundet, weißt du.«
»Das ist nett.«
Er mußte sie bewundern. Selbst jetzt, da er ihr eine Frist gewährt hatte, gab seine Mutter nicht einen Fußbreit nach. »Sie ist Ärztin. Gegenwärtig arbeitet sie für eine Gruppe, Ferndiagnose, aber das gefällt ihr nicht.
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