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SdG 04 - Die eisige Zeit

SdG 04 - Die eisige Zeit

Titel: SdG 04 - Die eisige Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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der langen, quälenden Geschichte der Tiste Andii. Wunden, die niemals heilen würden. Die Rhivi hatte mittlerweile festgestellt, dass selbst das Leiden zu einer Art Lebensinhalt werden konnte. Die entsetzliche Vorstellung, solch eine Existenz Jahrzehnte, dann Jahrhunderte und schließlich Jahrtausende auszudehnen, versetzte der Mhybe noch immer einen betäubenden Schock.
    Diese schmalen, geheimnisvollen Zelte hätten genauso gut die Heimat von Geistern sein können – eine ruhelose, umherstreifende Nekropole, die von verlorenen Geistern heimgesucht wurde. Die merkwürdig fleckigen, zerrissenen Bänder, die an die eisernen Zeltstangen gebunden worden waren, verliehen der Szenerie etwas Weihevolles, genau wie die hageren, geisterhaften Gestalten der Tiste Andii selbst. Sie schienen zu warten, eine ewige Erwartung, die der Mhybe immer wieder Schauer den Rücken hinunterjagte. Und was noch schlimmer war, sie kannte ihre Fähigkeiten – sie hatte gesehen, wie sie voller Wut die Schwerter gezogen und sie dann mit erschreckender Wirksamkeit geschwungen hatten. Und sie hatte ihre Zauberei gesehen.
    Bei den Menschen äußerte sich kalte Gleichgültigkeit häufig in Taten voller brutaler Grausamkeit, war sie häufig das wahre Gesicht des Bösen – falls so etwas denn tatsächlich existierte –, doch die Tiste Andii hatten bisher noch keine derartigen bösen Taten vollbracht. Sie kämpften unter Bruths Kommando, für eine Sache, die nicht ihre eigene war, und die wenigen von ihnen, die bei solchen Gelegenheiten getötet wurden, wurden einfach auf dem Schlachtfeld liegen gelassen. Es war den Rhivi zugefallen, diese Toten einzusammeln, sie auf die Art der Rhivi zu bestatten und ihr Dahinscheiden zu beweinen. Die Tiste Andii schauten sich solche Bemühungen mit ausdruckslosen Gesichtern an, als amüsiere sie die Aufmerksamkeit, die einem einfachen Leichnam entgegengebracht wurde.
    Das Kommandozelt wartete direkt vor ihnen; es war achteckig und wurde von einem Holzrahmen getragen. Die Leinwand war vielfach geflickt und hatte einen von der Sonne ausgebleichten Orangeton. Ursprünglich war sie rot gewesen. Das Zelt hatte der Karmesin-Garde gehört und war auf einem Abfallhaufen zurückgelassen worden; von dort hatte es Vorreiter Hurlochel für seinen Kriegsherrn gerettet. Bruth legte keinen Wert auf prächtige Ausstattung, wie schon seine Standarte bewies.
    Die große Zeltklappe am Eingang war zurückgeschlagen worden. Auf der vordersten Zeltstange saß ein Großer Rabe, den Kopf leicht in Richtung der Gruppe geneigt, den Schnabel geöffnet, als lachte er leise. Die schmalen Lippen der Mhybe verzogen sich zu einem halben Lächeln, als sie Scharteke erblickte. Anomander Rakes liebste Dienerin hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Caladan Bruth heimzusuchen; sie gab ihm unablässig gute Ratschläge, als wäre sie eine Art verschrobenes Gewissen. Die Matriarchin der Großen Raben hatte die Geduld des Kriegsherrn mehr als einmal auf die Probe gestellt – und doch toleriert Bruth sie genauso wie er Anomander Rake toleriert. Unsichere Verbündete … die Geschichten stimmen alle darin überein, dass Bruth und Rake sehr, sehr lange Seite an Seite gestanden haben, aber vertrauen sie einander wirklich? Diese besondere Beziehung ist nicht leicht zu verstehen, sie besteht aus unzähligen Schichten voller Komplexität und Zweideutigkeiten, und in Anbetracht der Tatsache, dass Scharteke die zweifelhafte Rolle einer Brücke zwischen den beiden Kriegern spielt, wird alles nur noch verwirrender,
    »Dujek Einarm!«, schrie Scharteke. Auf das laute Krächzen folgte ein verrücktes Gegacker. »Elster! Ich überbringe euch Grüße von einem gewissen Baruk, einem Alchemisten aus Darujhistan. Und im Auftrag meines Herrn, Anomander Rake, dem Lord von Mondbrut, Ritter des Hohen Hauses Dunkel und Sohn von Mutter Dunkel höchstpersönlich, übermittle ich euch seine … nein, eigentlich sind es keine Grüße … nein, keine Grüße … sondern … seine Erheiterung. Ja, das ist es – seine Erheiterung!«
    Dujek runzelte die Stirn. »Und was erheitert deinen Herrn so, Vogel?«
    »Vogel?«, kreischte der Große Rabe. »Ich bin Scharteke, die unumstrittene Matriarchin von Mondbruts misstönender mörderischer Schar!«
    Elster grunzte. »Du bist die Matriarchin der Großen Raben? Du sprichst also für sie alle? Das will ich gern glauben – du bist schließlich laut genug, beim Vermummten.«
    »Du elender Emporkömmling! Dujek Einarm, die Erheiterung

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