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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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brauchen … frische Beine. Sagt Rake das – er muss sein Schwert ziehen. Er muss Seelen nehmen. Vorzugsweise mächtige Seelen. Und er muss es bald tun – «
    »Was geschieht, wenn der Wagen stehen bleibt, Draconus?«
    Der Mann, der sein eigenes Gefängnis geschmiedet hatte, schwieg lange. »Werft einen Blick auf unsere Spur, Sterblicher. Seht selbst, was uns verfolgt.«
    Verfolgt? Er schloss die Augen, doch die Szene verschwand nicht – der Wagen rumpelte in seinem Geist weiter dahin, die unzähligen Opfer zogen an ihm vorüber wie Geister. Dann war das riesige Gefährt vorbei, wurde sein Ächzen schwächer. Die Furchen, die seine Räder hinterlassen hatten, flankierten ihn, jede so breit wie eine imperiale Straße. Die Erde war mit Blut, Galle und Schweiß voll gesogen, ein fauliger Schlamm, der seine Stiefel hinabzog, sie bis zu den Knöcheln verschlang.
    Sein Blick folgte den Spuren immer weiter zurück, bis zum Horizont.
    Wo Chaos wütete. Am Himmel ein Sturm, wie er es noch nie gesehen hatte. Gieriger Hunger strömte von ihm aus. Rasende Vorfreude.
    Verlorene Erinnerungen.
    Macht, geboren aus aufgegebenen Seelen.
    Bosheit und Begierde, eine Präsenz, die sich ihrer selbst beinahe bewusst war, mit Hunderttausenden von Augen, die alle auf den Wagen hinter Paran geheftet waren.
    So … gierig zu fressen …
    Er schauderte zurück.
    Mit einem Keuchen fand Paran sich einmal mehr neben Draconus, stolperte dahin. Der Nachhall dessen, was er gesehen hatte, blieb an ihm hängen, ließ sein Herz wild in seiner Brust hämmern. Weitere dreißig Schritte vergingen, ehe er in der Lage war, den Kopf zu heben und zu sprechen. »Draconus«, krächzte er, »Ihr habt ein sehr unangenehmes Schwert geschmiedet.«
    »Die Dunkelheit hat immer gegen das Chaos gekämpft, Sterblicher. Ist immer zurückgewichen. Und jedes Mal, wenn Mutter Dunkel nachgegeben hat – der Ankunft des Lichts, der Geburt des Schattens –, hat ihre Macht abgenommen, ist das Ungleichgewicht größer geworden. Solcherart war der Zustand der Sphären um mich herum in jenen frühen Zeiten. Ein zunehmendes Ungleichgewicht. Bis das Chaos sich dem Tor zu Kurald Galain selbst genähert hat. Eine Verteidigung musste aufgebaut werden. Seelen waren … erforderlich …«
    »Wartet, bitte. Ich muss nachdenken – «
    »Das Chaos hungert nach der Macht in jenen Seelen – nach dem, was Dragnipur beansprucht hat. Sich solche Macht einzuverleiben wird es stärker machen – zehnfach stärker. Hundertfach stärker. Stark genug, um das Tor zu durchbrechen. Seht Euch Eure Sphäre – die Sphäre der Sterblichen – an, Ganoes Paran. Verheerende Kriege, die ganze Zivilisationen vernichten, Bürgerkriege, Pogrome, verwundete und sterbende Götter – Ihr und Eure Art eilt in einem gefährlichen Tempo auf dem Pfad dahin, den das Chaos geschaffen hat. Blind vor Zorn, voller Rachsucht, jener dunkelsten aller Begierden–«
    »Wartet – «
    »Wo Geschichte nichts bedeutet. Lektionen vergessen werden. Erinnerungen – an die Menschlichkeit, an alles, was menschlich ist – verloren sind. Ohne Gegengewicht, Ganoes Paran – «
    »Aber Ihr wollt, dass ich Dragnipur zerschmettere!«
    »Oh, jetzt verstehe ich Euren Widerstand gegen alles, was ich sage. Sterblicher, ich hatte sehr viel Zeit, um nachzudenken. Um den schweren Irrtum zu erkennen, dem ich unterlegen war. Ich hatte geglaubt, Ganoes Paran, in jenen frühen Tagen, dass sich nur in Dunkelheit die Macht manifestieren könnte, die Ordnung ist. Ich habe versucht, Mutter Dunkel zu helfen – denn es hat so ausgesehen, als sei sie nicht in der Lage, sich selbst zu helfen. Sie wollte ihren Kindern nicht antworten, sie wollte sie noch nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Sie hatte sich zurückgezogen, tief in ihre eigene Sphäre, weit weg von uns allen, so weit, dass wir sie nicht finden konnten.«
    »Draconus – «
    »Hört mir zu. Bitte. Vor den Häusern gab es Festen. Vor den Festen, da gab es Wanderungen. Das waren doch Eure eigenen Worte, nicht wahr? Aber Ihr hattet sowohl Recht als auch Unrecht. Keine Wanderungen, sondern Migration. Eine Reise, die den Jahreszeiten folgte. Vorhersagbar, zyklisch. Was ziellos und zufällig schien, war in Wirklichkeit starr, an seine eigenen Gesetze gebunden. Eine Wahrheit – eine Macht –, die ich nicht als solche erkannt habe.«
    »Und daher wird die Zerstörung von Dragnipur das Tor erneut freigeben – für seine Migration.«
    »Für das, was ihm seine eigene Stärke verliehen hat, sich dem

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