SdG 05 - Der Tag des Sehers
Ein Bote hatte ihn von der Vorhut zurückgerufen, hatte kaum verständliche Worte von einer gebrochenen Achse gebrüllt, von einem wirren Stau, von verletzten Tieren. Im Augenblick war alles, was er ausmachen konnte, eine Masse schlammverschmierter Soldaten, die herumturnten, rutschten, Seile miteinander verknoteten und einander unhörbar etwas zuriefen, und mindestens drei Wagen, die bis zu den Achsen im Schlamm versunken waren, auf etwas, das einst eine Straße gewesen war, sich nun jedoch in einen Schlammfluss verwandelt hatte. Ochsen wurden aus den Geschirren ausgespannt und brüllend zur Seite geführt.
Er saß auf seinem Pferd und beobachtete alles. Es hatte keinen Sinn, die wunderlichen Einfälle der Natur zu verfluchen, genauso wenig wie den Zusammenbruch überladener Wagen oder das Tempo, unter dem sie alle litten. Seine Seesoldaten taten, was getan werden musste, trotz des scheinbaren Chaos. Der Regen würde um diese Jahreszeit wohl kaum lange anhalten, und der Durst der Sonne war groß. Nichtsdestotrotz fragte er sich, welche Götter sich gegen ihn verschworen hatten, denn seit sie den Fluss überquert hatten, war nicht ein einziger Tag auf diesem hektischen Marsch vergangen, ohne dass etwas passiert war- und es waren keine Vorfälle gewesen, die ihren Wünschen entgegengekommen waren.
Es würde noch mindestens zwei Tage dauern, bis sie Korall erreichten. Elster hatte, seit sie vor Maurik gewesen waren, keine Nachricht vom Schnellen Ben mehr erhalten, und der Magier, Paran und die Brückenverbrenner waren damals noch eine halbe Nacht von Koralls unmittelbarer Umgebung entfernt gewesen. Er war sich sicher, dass sie die Stadt mittlerweile erreicht hatten, war sich ebenso sicher, dass Dujek und seine Kompanien jetzt dort eintrafen. Wenn es zu einer Schlacht kommen sollte, dann schon bald.
Elster wendete sein Pferd, trieb das müde Tier am Rand des Weges entlang, um zur Vorhut zurückzukehren. Die Nacht zog schnell herauf, und sie würden Halt machen müssen, zumindest ein paar Glockenschläge lang. Dann könnte er ein bisschen kostbare Zeit allein mit Korlat verbringen – die Härte dieses Marschs hatte sie viel zu oft voneinander getrennt, und während er und Korlat der Überzeugung waren, dass ihr Lord, Anomander Rake, noch nicht abgeschrieben werden konnte, hatte sie in jeder Hinsicht die Rolle einer Kommandantin unter ihren Tiste Andii übernommen – kalt, unnahbar, völlig auf die Führung ihrer Brüder und Schwestern konzentriert.
Unter ihrer Anleitung waren sie dabei, Kurald Galain zu erforschen, ihr Gewirr der Dunkelheit, stützten sich auf seine Kraft in einem Versuch, es von der Infektion durch den Verkrüppelten Gott zu reinigen. Elster hatte bei ihrem kurzen, seltenen Wiederauftauchen die Kosten gesehen, die Orfantal und die anderen Tiste Andii tragen mussten. Doch Korlat wollte die Macht von Kurald Galain in Reichweite haben – ohne zu fürchten, dass das Gewirr einem verderblichen Einfluss unterlag –, wenn die Schlacht um Korall begann.
Er spürte, dass sie sich verändert hatte. Ein freudloser Entschluss hatte alles, was in ihr war, härter werden lassen. Vielleicht war es der mögliche Tod Anomander Rakes, der ihrem Geist eine solche Verhärtung aufgezwungen hatte. Oder vielleicht waren es auch ihre zukünftigen Wege, die sie so naiv miteinander verschlungen hatten, ohne auf die harschen Forderungen der wirklichen Welt zu achten. Die Vergangenheit war stets unruhig, für sie beide.
Ganz tief in seinem Innern war Elster sich sicher, dass Anomander Rake nicht tot war. Noch nicht einmal verloren. In dem halben Dutzend nächtlicher Gespräche, die er mit dem Lord von Mondbrut geführt hatte, hatte der Malazaner ein Gefühl für den Tiste Andii entwickelt: Trotz der Bündnisse, einschließlich der langen Partnerschaft mit Caladan Bruth, war Anomander Rake ein Mann der Einsamkeit – von einer fast schon krankhaften Unabhängigkeit. Die Bedürfnisse anderer waren ihm gleichgültig, egal, welche Versicherung oder Bestätigung sie auch erwarten oder verlangen mochten. Er hat gesagt, er würde da sein, wenn der Angriff auf Korall beginnt, und das wird er auch.
Durch das graue Zwielicht konnte er voraus die Vorhut ausmachen, ein Knäuel aus berittenen Offizieren, die Humbrall Taur, Hetan, Cafal, Kruppe und Korlat auf der Straße umringten. Als er näher kam, sah er, dass hinter ihnen der Himmel heller war. Bald würden sie aus dem Unwetter heraus sein, und wenn Oponns Glück ihnen hold war,
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