SdG 05 - Der Tag des Sehers
so Eure Interessen vertreten. Orfantal und ich sind Wechselgänger – einer von uns kann Euch rasch eine Nachricht bringen, wenn es nötig sein sollte, entweder von Gefahren oder von Verrat. Außerdem könnte unsere Gegenwart sich als entscheidend erweisen, sollte es notwendig sein, Dujeks Rückzug aus einer aussichtslosen Schlacht zu bewerkstelligen.«
Kallor lachte. »Die Liebenden wieder vereint, und wir sollen uns vor falscher Objektivität verbeugen – «
Orfantal machte einen Schritt auf Kallor zu. »Das war die letzte Beleidigung, die du den Tiste Andii zufügen wirst«, sagte er leise.
»Halt!«, bellte Caladan Bruth. »Kallor, hör zu: Ich vertraue den Tiste Andii. Nichts, was du sagst, wird dieses Vertrauen erschüttern, denn es wurde vor Jahrhunderten errungen, hundertfach, und nicht ein einziges Mal verraten. An deiner Loyalität beginne ich andererseits mehr und mehr zu zweifeln …«
»Hütet Euch vor Euren Befürchtungen, Kriegsherr«, grollte Kallor, »sonst werden sie vielleicht noch wahr.«
Bruths Antwort war so leise, dass Korlat sie kaum hören konnte. »Willst du jetzt mich verhöhnen, Kallor?«
Der Krieger erbleichte. »Was hätte das für einen Wert?«, fragte er leise, tonlos.
»In der Tat.«
Korlat wandte sich an ihren Bruder. »Ruf unsere Leute zusammen, Orfantal. Wir begleiten den Kommandanten und den Kriegshäuptling.«
»Wie du sagst, Schwester.« Der Tiste Andii drehte sich um, blieb stehen und musterte Kallor mehrere Herzschläge lang. »Ich glaube, wenn das hier vorbei ist, alter Mann …«, sagte er.
Kallor bleckte die Zähne. »Was glaubst du?«
»Dass ich mich um dich kümmern werde.«
Kallor behielt als Antwort sein Grinsen bei, doch es wirkte ein wenig angestrengt, und in seiner Wange begann ein Muskel zu zucken.
Orfantal machte sich zu den wartenden Pferden auf.
Humbrall Taurs tiefes Auflachen durchbrach die angespannte Stille. »Und wir dachten schon, Ihr hättet Euch gestritten, als wir angekommen sind.«
Korlat schaute auf das Boot hinunter – und begegnete Elsters Blick. Er brachte ein müdes Lächeln zustande, das ihr zeigte, unter welchem Druck er gestanden hatte. Doch es war das, was sie in seinen Augen sah, was ihr Herz schneller schlagen ließ. Liebe und Erleichterung, Zärtlichkeit … und nackte Vorfreude.
Mutter Dunkel, wie sind diese Sterblichen lebendig!
Seite an Seite erreichten Grantl und Itkovian im leichten Galopp den Dammweg und näherten sich der Plattform. Der Himmel wurde im Osten heller, die Luft war kühl und klar. Knapp zwei Dutzend Rhivi-Hirten geleiteten die letzten der ersten dreihundert Bhederin auf die von einem Geländer umgebene Rampe.
Ein paar hundert Schritt hinter den beiden Männern wurden die nächsten dreihundert auf den Dammweg zugetrieben. Es würden noch mindestens zweitausend Bhederin folgen, und es war Grantl und Itkovian klar, dass sie sich dazwischendrängen mussten, wenn sie ihre Kompanien in absehbarer Zeit über den Fluss führen wollten.
Die Malazaner hatten gut gebaut. Jedes Boot trug breite, stabile Rampen, die sie ordentlich Bug an Bug miteinander verbanden, während die Hecks so konstruiert waren, dass sie sich genau aneinander fügten, nachdem die Kielwasser-Schutzvorrichtungen entfernt worden waren. Die Brücke, die sie bildeten, wenn sie miteinander verbunden waren, war beweglich, wo das erforderlich war, und ansonsten sicher, und sie war überraschend breit – zwei Wagen konnten sie nebeneinander überqueren.
Kommandant Elster und die bei ihm verbliebenen Kompanien hatten den Fluss vor mehr als fünfzehn Glockenschlägen überquert, gefolgt von den drei Barghast-Clans unter dem Befehl von Humbrall Taur. Grantl wusste, dass Itkovian gehofft hatte, die beiden Männer wieder zu treffen und mit ihnen zu sprechen – vor allem mit Elster – , doch als sie in Sichtweite des Flusses gekommen waren, waren die Malazaner und die Barghast schon lange fort gewesen.
Caladan Bruth hatte seine Truppen das Lager auf dieser Seite des Maurik aufschlagen und sie drei Glockenschläge vor Anbruch der Dämmerung wecken lassen. Sie waren gerade mit dem Übersetzen fertig. Grantl wunderte sich über das unterschiedliche Tempo der beiden verbündeten Armeen.
Sie zügelten die Pferde inmitten der Rhivi-Hirten. Ein großer, unbeholfener Mann, der ganz eindeutig kein Rhivi war, stand etwas abseits und sah zu, wie die Bhederin zu den Schreien und Pfiffen der Hirten über das erste Boot trampelten.
Grantl stieg ab und
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