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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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Gesicht. »Wir haben sie darum gebeten, mit uns zu kommen«, sagte er.
    Die Mhybe runzelte die Stirn. »Wen habt ihr gebeten?«
    »Deine Tochter. Diese Welt – sie ist für dich. Tatsächlich existiert sie in dir. Mit dieser Welt bittet dich deine Tochter um Vergebung.«
    »S-sie hat das hier gemacht – «
    »Viele hatten daran teil, alle getrieben von der Ungerechtigkeit, die du erlitten hast. An dem Tag, als deine Tochter … geschaffen wurde, hat … Verzweiflung geherrscht. Derjenige, der als Kruppe bekannt ist. K’rul, der Ältere Gott. Der Mann namens Pran Chole. Und du selbst. Und, als sie uns in sich versammelt hat, auch wir. Silberfuchs wollte noch mehr – sie wollte eine Antwort geben auf die Tragödie der T’lan Imass und der T’lan Ay. Es könnte sein«, fügte er hinzu, und machte mit einer Hand eine kleine Geste der Trauer, »dass das, was ihr Herz wollte, sich als zu groß erwiesen hat – «
    »Wo ist sie? Wo ist meine Tochter?«
    Der Ältere schüttelte den Kopf. »Verzweiflung hat sie befallen. Sie ist fort.«
    Die Mhybe schwieg. Ich wurde gejagt. Ihr habt mich gejagt. Und die Ay. Sie schaute hinab, hob langsam ihre jugendlichen Glieder. Ist dies denn wirklich? Sie drehte sich langsam um, sah Kruppe an, suchte seinen Blick.
    Der Daru lächelte.
    Die alte Frau …
    »Werde ich aufwachen?«
    Kruppe schüttelte den Kopf. »Jene Frau schläft nun für immer, Schätzchen. Bewacht, beschützt. Deine Tochter hat mit dem Vermummten gesprochen. Hat eine Abmachung mit ihm getroffen, ja? Sie glaubt, sie hätte sie dadurch, dass sie die T’lan Imass verloren hat, gebrochen. Aber man kann nicht umhin zu denken, dass diese Lösung auch noch andere Aspekte hat. Kruppe bleibt zuversichtlich.«
    Eine Abmachung. Freiheit für die T’lan Imass. Ein Ende. Ihre Seelen … dem Vermummten übergeben.
    Bei den Geistern hienieden – und nun hat sie sie verloren? Die T’lan Imass verloren? »Der Vermummte wird sich nicht damit abfinden – «
    »Ach nein? Aber warum sollte er nicht, meine Liebe? Wenn der Lord des Todes keine Geduld hat, dann kann Kruppe auf Colls spitzem Kopf tanzen. Was er ganz gewiss nicht kann. Du wirst nicht in jenen alten Körper zurückkehren.«
    Die Mhybe warf einen Blick auf die Rhivi-Geister. »Werde ich hier altern? Werde ich schließlich …«
    Der Ältere zuckte die Schultern. «Ich weiß es nicht, aber ich vermute, dass du nicht altern wirst. Du bist das Gefäß. Die Mhybe.«
    Die Mhybe … Oh, Silberfuchs. Tochter. Warum bist du nicht hier? Warum kann ich dir jetzt nicht in die Augen sehen? Die Bitte um Vergebung wird auf beiden Seiten ausgesprochen. Sie nahm einen tiefen Atemzug, schmeckte das süße Leben, das die kühle, feuchte Luft erfüllte. So einfach ist es also, diese Welt in mich aufzunehmen. Sie nahm den ersten kupfernen Armreif ab, streckte ihn den Rhivi hin. »Ich glaube, das hier gehört euch.«
    Der Ältere lächelte. »Hat seine Macht dir gute Dienste geleistet?«
    Sie nickte. »Über alle Maßen …«
    Eine Präsenz erfüllte ihr Denken. »Mhybe.«
    Togg, eine grollende Macht, der Wille des Winters selbst.
    »Wir wohnen hier, in dieser Sphäre, der Sphäre der Tier-Throne, aber du bist ihre Herrin. In mir ist einer. Der Geist eines Sterblichen. Ein geschätzter Geist. Ich würde ihn gerne freilassen. Wir würden ihn gerne freilassen. Aus dieser Sphäre. Gibst du uns – «
    Ja. Lasst ihn frei.
     
    Der Segen. Ohne Gott konnte er ihn nicht geben. Nicht in seiner wahrsten Form.
    Doch er hatte die gewaltige Kapazität, über die er in seinem Innern verfügte, nicht verstanden. Er, eine sterbliche Seele, die die Leiden von Zehntausenden in sich aufnehmen konnte, der Massen, die fast dreihunderttausend Jahre lang mit Schmerz und Verlust gelebt hatten.
    Er sah Gesichter, unzählige Gesichter. Vertrocknet, die Augen nicht mehr als schattige Höhlen. Trockene, zerfetzte Haut. Er sah Knochen zwischen wurzelähnlichen Sehnen und Muskeln hindurchschimmern. Er sah Hände, denen Stücke fehlten, die jetzt leer waren – doch die Geister der Schwerter waren immer noch da.
    Er lag auf den Knien, blickte über ihre Reihen hinweg, und es regnete, eine wallende Sintflut, begleitet von einem widerhallenden Ächzen und Stöhnen, von splitterndem Krachen, das die Dunkelheit über ihm erfüllte.
    Er sah sie an, und sie verharrten reglos, mit gesenkten Köpfen.
    Und doch konnte er ihre Gesichter sehen. Jedes Gesicht. Jedes einzelne Gesicht.
    Ich habe Euren Schmerz.
    Er spürte sie, spürte

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