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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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die plötzliche Leichtigkeit, die sie durchdrang. Ich habe alles getan, was ich tun konnte. Ja, ich weiß, es war nicht genug. Noch nicht. Ich habe Euer Leiden in mich aufgenommen –
    »Du hast unser Leiden aufgenommen, Sterblicher.«
    In mich selbst -
    »Wir verstehen nicht, wie.«
    Und so werde ich Euch jetzt verlassen -
    »Wir verstehen nicht … warum.«
    Denn alles, was mein Fleisch nicht umschließen kann -
    »Wir können das Geschenk, das du uns gemacht hast, nicht erwidern.«
    Werde ich mit mir nehmen.
    »Bitte, Sterblicher – «
    Irgendwie.
    »Sag uns den Grund. Bitte. Dass du uns so segnen, so glücklich machen willst – «
    Ich bin der …
    »Sterblicher?«
    Ich bitte um Entschuldigung. Ihr wollt mehr von mir wissen. Ich bin … ein Sterblicher, wie Ihr sagt. Ein Mann, der vor drei Jahrzehnten in der Stadt Erin geboren wurde. Bevor ich meinen Familiennamen an Feners Traum abgetreten habe, lautete er Otanthalian. Mein Vater war ein harter gerechter Mann. Meine Mutter hat in all den Jahren, die ich sie gekannt habe, nur ein einziges Mal gelächelt. Als ich fortgegangen bin. Doch noch immer ist es dieses Lächeln, an das ich mich erinnere. Ich glaube inzwischen, dass mein Vater umarmt hat, um zu besitzen. Dass sie eine Gefangene war. Ich glaube jetzt, dass ihr Lächeln eine Antwort auf meine Flucht war. Ich glaube jetzt, dass ich dadurch, dass ich fortgegangen bin, etwas von ihr mitgenommen habe. Etwas, das es wert war, freigelassen zu werden.
    Feners Traum. In dem Traum … ich frage mich, habe ich darin einfach ein anderes Gefängnis für mich gefunden?
    »Sie ist frei in dir, Sterblicher.«
    Das wäre … gut.
    »Wir würden dich nicht anlügen, Itkovian Otanthalian. Sie ist frei. Und sie lächelt noch immer. Du hast uns gesagt, was du warst. Aber wir verstehen deine … Großzügigkeit noch immer nicht. Dein Mitleid. Und so fragen wir dich noch einmal. Warum hast du das für uns getan?«
    Ihr sprecht von Mitleid. Ich verstehe jetzt einiges von Mitleid. Wollt Ihr es hören?
    »Sprich weiter, Sterblicher.«
    Wir Menschen verstehen Mitleid nicht. In jedem Augenblick unseres Lebens verraten wir es. Sicher, wir wissen um seine Kostbarkeit, aber indem wir dies wissen, fügen wir ihm einen Wert zu, wir bewachen, wie es gegeben wird, glauben, es müsse verdient werden. T’lan Imass. Mitleid ist unbezahlbar im wahrsten Sinne des Wortes. Es muss freiwillig gewährt werden. In Hülle und Fülle.
    »Wir verstehen es nicht, aber wir werden lang über deine Worte nachdenken.«
    Es gibt anscheinend immer noch mehr zu tun.
    »Du antwortest nicht auf unsere Frage – «
    Nein.
    »Warum?«
    Im herabströmenden Regen, während die Dunkelheit sich zusammenzog und jedes Gesicht ihm zugewandt war, umschloss Itkovian all das, was er in seinem Innern hielt, umschloss es und fiel nach hinten.
    Nach hinten.
    Weil … Ich war der Schild-Amboss. Aber jetzt …
    Bin ich am Ende.
    Und unter dem strömenden Regen des Mondes starb er.
     
    Auf der weiten, wiedergeborenen Tundra mit ihrem süßen Frühlingshauch blickte Silberfuchs auf.
    Vor ihr standen zwei T’lan Imass. Die eine war von Schwertern durchbohrt. Der andere war so fürchterlich zerhauen, dass er kaum noch stehen konnte.
    Hinter ihnen, schweigend, reglos, die T’lan Ay.
    Silberfuchs wollte sich abwenden.
    »Nein. Das wirst du nicht tun.«
    Silberfuchs starrte den zerschlagenen Krieger, der zu ihr gesprochen hatte, düster an. »Du wagst es, mich zu quälen?«, zischte sie.
    Der T’lan Imass schien angesichts ihrer Heftigkeit zu taumeln, doch er fasste sich wieder. »Ich bin Onos T’oolan, das Erste Schwert. Du bist die Beschwörerin. Du wirst mir zuhören.«
    Silberfuchs sagte mehrere Herzschläge lang nichts, dann nickte sie. »Also gut. Sprich.«
    »Befreie die T’lan Ay.«
    »Sie haben sich mir verweigert – «
    »Sie sind jetzt hier vor dir. Sie sind gekommen. Ihre Geister erwarten sie. Sie wollen wieder sterblich sein, in der Welt, die du geschaffen hast. Sterblich, nicht länger in Träumen verloren, Beschwörerin. Sterblich. Beschenke sie. Jetzt.«
    Beschenke sie … »Und das wünschen sie sich?«
    »Ja. Strecke die Hand nach ihnen aus, und du wirst wissen, dass das die Wahrheit ist.«
    Nein, nicht noch mehr Schmerz. Sie hob die Arme, rief die Macht von Tellann herbei, schloss die Augen – zu lange haben sie Ketten gekannt. Zu lange haben diese Kreaturen die Bürde der Loyalität getragen -
    - und entließ sie aus dem Ritual. Eine Anstrengung, die ihr so

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