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SdG 07 - Das Haus der Ketten

SdG 07 - Das Haus der Ketten

Titel: SdG 07 - Das Haus der Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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diesem Augenblick habe ich die Wahrheit begriffen, obwohl ich noch ein Kind war. Ich habe die Wahrheit über sie und ihre Göttin begriffen.«
    L’oric zog den Stöpsel aus dem Krug, den er ebenfalls mitgebracht hatte, und hob ihn an die Lippen. Sein Mund war plötzlich trocken geworden. »Und was war das für eine Wahrheit?«, fragte er flüsternd, ohne ihr in die Augen sehen zu können. Stattdessen nahm er einen kräftigen Schluck von dem unverdünnten Wein.
    »Oh, dass wir hier alle miteinander nichts als Sklaven sind. Wir sind Werkzeuge, die sie benutzen wird, um zu erlangen, was sie begehrt. Darüber hinaus bedeuten wir der Göttin nichts. Aber bei der Wiedergeborenen Sha’ik hatte ich das Gefühl, etwas … anderes gesehen zu haben.«
    Er sah aus dem Augenwinkel, wie sie die Schultern zuckte.
    »Aber«, fuhr sie fort, »die Göttin ist zu stark. Ihr Wille ist absolut. Es ist das Gift namens Gleichgültigkeit … und seinen Geschmack kenne ich nur zu gut, L’oric. Welches Waisenkind Ihr auch fragt und wie alt er oder sie heute auch sein mag – sie werden Euch alle das Gleiche sagen. Wir haben alle die gleiche bittere Milch getrunken.«
    Er wusste, dass ihm Tränen in die Augen getreten waren, die ihm die Wangen hinunterrannen, doch er konnte nichts dagegen tun.
    »Und jetzt, L’oric«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »ist es bei uns allen sichtbar. Bei allen, die wir hier sind. Wir sind Waisen. Denkt darüber nach. Bidithal, der seinen Tempel, seinen ganzen Kult verloren hat. Für Heboric gilt das Gleiche. Korbolo Dom, der einst ebenbürtig an der Seite großer Soldaten wie Elster und Coltaine gestanden hat. Febryl – habt Ihr gewusst, dass er seinen Vater und seine Mutter ermordet hat? Toblakai, der sein Volk verloren hat. Und wir anderen, L’oric – wir waren einst Kinder des malazanischen Imperiums. Und was haben wir getan? Wir haben uns der Imperatrix entledigt, sie gegen eine wahnsinnige Göttin eingetauscht, die nur von Zerstörung träumt und sich an einem Meer aus Blut laben will …«
    »Und ich«, fragte er leise, »bin ich auch eine Waise?«
    Sie brauchte nicht zu antworten, denn sie hörten beide die Wahrheit in seinen schmerzerfüllten Worten.
    Osric …
    »Womit nur noch einer übrig bleibt … Leoman von den Dreschflegeln.« Felisin nahm ihm den Weinkrug aus der Hand. »Ach, Leoman. Unser befleckter Diamant. Ich frage mich, ob er uns alle retten kann? Wird er die Möglichkeit dazu bekommen? Er ist der Einzige unter uns, der nicht … angekettet ist. Zweifellos erhebt die Göttin Anspruch auf ihn, aber es ist ein hohler Anspruch – Ihr könnt das erkennen, nicht wahr?«
    Er nickte und wischte sich über die Augen. »Und ich glaube, dass ich Sha’ik ebenfalls zu dieser Erkenntnis verholfen habe.«
    »Dann weiß sie also, dass Leoman unsere letzte Hoffnung ist?«
    Er stieß einen rauen Seufzer aus. »Ich glaube schon …«
    Sie schwiegen eine Zeit lang. Die Nacht war hereingebrochen, und das Feuer war erloschen und zu Asche zerfallen, so dass nur das Licht der Sterne noch die Lichtung erhellte.
    Und dann schien es, als würden die Augen aus Stein, im Halbkreis aufgereiht, allmählich lebendig und fixierten sie mit ihren Blicken. Gierige Blicke, in denen Hunger glitzerte. L’orics Kopf fuhr hoch. Er starrte in die schrecklichen Gesichter, dann auf die beiden Gestalten, die Teblor darstellten, und ließ sich dann schauernd wieder zurücksinken.
    Felisin lachte leise. »Ja, sie gehen einem nicht mehr aus dem Kopf, nicht wahr?«
    L’oric gab ein undeutliches Geräusch von sich. »In diesen Statuen, die Toblakai geschaffen hat, liegt ein Geheimnis verborgen. Diese Gesichter – das sind T’lan Imass. Und doch …«
    »Er hat sie für seine Götter gehalten, ja. Das hat mir Leoman einmal erzählt, als er Durhang geraucht hatte. Und dann hat er mich davor gewarnt, darüber mit Toblakai zu sprechen.« Sie lachte erneut, lauter dieses Mal. »Als ob ich das je getan hätte. Nur ein Narr würde zwischen den Teblor und seine Götter treten.«
    »An diesem einfachen Krieger ist nichts Einfaches«, murmelte L’oric.
    »Ebenso, wie Ihr nicht einfach nur ein Hohemagier seid«, sagte sie. »Ihr müsst bald handeln, wie Ihr sehr wohl wisst. Ihr müsst Entscheidungen treffen. Wenn Ihr zu lange wartet, werden sie für Euch getroffen werden, und das würdet Ihr bedauern.«
    »Ich könnte das Gleiche auch zu dir sagen.«
    »Nun gut, dann scheint es, als hätten wir heute Nacht noch mehr zu

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