SdG 07 - Das Haus der Ketten
dann rennst du weg. Aber was dann? Nichts. Du bist zwar nicht mehr hier, aber wo immer du auch sein magst – du wirst noch immer da sein.«
Saiten verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Soll ich in deinen Worten jetzt irgendeinen Sinn erkennen? Hör zu, es ist nicht nur das, was mit den Brückenverbrennern passiert ist. Es geht darum, ein Soldat zu sein. Darum, das alles hier noch einmal zu machen. Mir ist klar geworden, dass ich es schon beim ersten Mal nicht sonderlich gemocht habe. Es kommt der Moment, Gesler, da ist man nicht mehr am richtigen Ort, oder man tut nicht mehr das Richtige.«
»Kann sein, aber diesen Moment habe ich bis jetzt noch nicht erlebt. Letztlich geht es nur darum, worin du gut bist. Um nichts anderes, Fied. Du willst kein Soldat mehr sein. Schön, aber was willst du stattdessen tun?«
»Ich war mal Lehrling bei einem Steinmetz – «
»Und Lehrlinge sind zehn Jahre alt, Fiedler. Keine mürrischen alten Säcke wie du. Schau, ein Soldat kann nur eines – und das ist, Soldat zu sein. Du willst Schluss damit machen? Nun, es wird eine Schlacht geben. Die sollte dir mehr als genug Möglichkeiten bieten. Stürz dich in ein Schwert, und du bist erledigt.« Gesler machte eine Pause und deutete mit einem Finger auf Saiten. »Aber das ist nicht das Problem, stimmt’s? Sondern dass du jetzt einen Trupp hast, für den du verantwortlich bist. Das gefällt dir nicht, und deshalb denkst du jetzt auf einmal übers Abhauen nach.«
Saiten stand auf. »Knutsch doch einfach mit deinem Hund, Gesler.« Er stapfte in die Dunkelheit davon.
Das Gras unter seinen Füßen war nass. Leise riefen die Vorposten ihn an, als er zwischen ihnen hindurchging; er antwortete ihnen und gelangte aus dem Lager hinaus. Über ihm verblassten die Sterne, während der Himmel immer heller wurde. Kapmotten flatterten in wirbelnden Wolken auf die bewaldeten Hügel von Vathar zu; gelegentlich tauchte ein Rhizan in diese Wolken, worauf sie in alle Richtungen auseinander schossen, nur um sich erneut zu formieren, wenn die Gefahr vorüber war.
Auf einem Kamm dreihundert Schritt von dem Sergeanten entfernt stand ein halbes Dutzend Wüstenwölfe. Sie hatten ihr nächtliches Geheul schon hinter sich und lungerten jetzt nur noch aus Neugier herum; vielleicht warteten sie auch nur auf den Aufbruch der Armee, damit sie in die Senke herunterkommen und sich über das hermachen konnten, was zurückbleiben würde.
Saiten blieb stehen, als er leisen Gesang hörte – tief, klagend und misstönend –, der aus einer Einbuchtung auf dieser Seite des Grats zu kommen schien. Er hatte ihn schon in anderen Nächten gehört, immer außerhalb des Lagers, aber nie Lust gehabt, der Sache auf den Grund zu gehen. Die dünnen, unharmonischen Klänge hatten nichts Einladendes.
Doch jetzt riefen sie ihn. Mit vertrauten Stimmen. Mit plötzlich schmerzendem Herzen ging er darauf zu.
Die Vertiefung war dicht mit gelblichem Gras bewachsen, doch in der Mitte war ein Kreis flach gedrückt worden. Dort saßen Nil und Neder, die beiden wickanischen Kinder, einander gegenüber, und zwischen ihnen stand eine breite Bronzeschüssel.
Was immer sich in der Schüssel befand, es zog Schmetterlinge an, im Augenblick knapp zwei Dutzend, doch es kamen immer mehr.
Saiten zögerte und wollte schon wieder gehen.
»Komm näher«, rief Nil mit seiner quäkenden Stimme. »Schnell, die Sonne geht auf!«
Stirnrunzelnd trat der Sergeant näher. Als er den Rand der Vertiefung erreichte, blieb er überrascht und beunruhigt stehen. Die Schmetterlinge umschwärmten ihn, eine Wolke aus blassgelber Raserei, die sein ganzes Blickfeld ausfüllte – sie fächerten Luft gegen seine Haut wie tausend Atemzüge. Er drehte sich um sich selbst, doch er sah nichts als flatternde Flügel.
»Noch näher! Er will, dass du hierher kommst!« Das war Neders hohe, piepsende Stimme.
Doch Saiten konnte keinen einzigen Schritt mehr machen. Er war vollständig eingehüllt, und inmitten dieses gelben Leichentuchs war … eine Präsenz.
Und sie sprach. »Brückenverbrenner. Die Raraku wartet auf dich. Kehre jetzt nicht um.«
»Wer bist du?«, wollte Saiten wissen. »Wer spricht da?«
»Ich gehöre jetzt zu diesem Land. Was ich vorher war, spielt keine Rolle. Ich bin erwacht. Wir sind erwacht. Geh und triff dich mit deinem Verwandten. In der Raraku – dort wird er dich finden. Zusammen müsst ihr die Göttin töten. Ihr müsst die Raraku von dem Makel befreien, der auf ihr lastet.«
»Meinen
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