SdG 08 - Kinder des Schattens
weiß nicht einmal mehr, was ich zu Eurem Bruder gesagt habe …«
»Es spielt keine Rolle«, unterbrach ihn Forcht. »Was du getan hast …« Seine Worte verebbten, und einen Augenblick lang sah es so aus, als würde sein Gesicht zusammenschrumpeln. Trull sah, wie sich die Halsmuskeln seines Bruders anspannten, dann schloss Forcht kurz die Augen, holte tief Luft – und war wieder er selbst. Er schüttelte den Kopf, war jedoch nicht in der Lage zu sprechen.
Trull hockte sich neben Udinaas und Rhulad. »Ich verstehe, Udinaas. Du brauchst Ruhe. Aber bleib noch ein Weilchen hier, wenn du kannst.«
Der Sklave nickte.
Trull richtete den Blick jetzt auf seinen Bruder, musterte Rhulads zerstörtes Gesicht. Die Augen waren noch immer geschlossen – doch hinter ihnen war Bewegung. »Rhulad. Ich bin es, Trull. Hör mir zu, mein Bruder. Lass deine Augen fürs Erste zu. Wir müssen dies – diese Rüstung – von dir runterbekommen …«
Bei diesen Worten schüttelte Rhulad den Kopf.
»Es sind Bestattungsmünzen, Rhulad …«
»J-ja. Ich … weiß.«
Die Worte klangen rau und schwer, der Atem wurde aus einer zusammengeschnürten Brust ausgestoßen.
Trull zögerte einen Moment und sagte dann: »Udinaas war hier bei dir, ganz allein hat er dich vorbereitet …«
»Ja.«
»Er ist erschöpft, mein Bruder.«
»Ja. Sag Mutter. Ich will. Ich will ihn.«
»Natürlich. Aber lass ihn jetzt bitte gehen …«
Die Hand ließ den Arm des Sklaven los, knallte hart und offenbar gefühllos auf den Fußboden. Die andere Hand, die noch immer das Schwert hielt, zuckte plötzlich.
Und ein grässliches Lächeln erschien auf Rhulads Gesicht. »Ja. Ich halte es immer noch fest. Das hier. Das hat er gemeint.«
Trull wich ein wenig zurück.
Udinaas krabbelte ein kleines Stück zur Seite, lehnte sich gegen die Truhe mit den Münzen. Er zog sich hoch, und für einen kurzen Augenblick wirkten seine Umrisse wie ein Spiegelbild von Rhulads Gestalt. Kurz bevor er das Gesicht abwandte, konnte Trull erkennen, wie sich die Spuren seiner Qualen darauf abzeichneten.
Erschöpft oder nicht, alles, was Udinaas Frieden und Ruhe hätte schenken können, war zehntausend Schritte entfernt – Trull konnte es sehen, konnte diese entsetzliche Tatsache jetzt verstehen. Rhulad hatte den Sklaven gehabt, aber wen hatte Udinaas?
Nicht gerade ein typischer Gedanke für einen Edur.
Doch nichts – nichts – war, wie es sein sollte. Trull stand auf und begab sich zu Forcht. Er dachte einen Augenblick nach und drehte sich dann zum Eingang um. Dort stand noch immer Mayen, und an ihrer Seite die Letherii Federhexe. Trull winkte der Sklavin, deutete auf die Stelle, an der Udinaas kauerte.
Er sah, wie sich ihr Gesicht entsetzt verzerrte. Sah, wie sie den Kopf schüttelte.
Dann rannte sie weg.
Trull verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
Ein Aufruhr am Eingang, und Mayen verschwand aus seinem Blickfeld.
Tomad und Uruth tauchten auf.
Noch während sie sich langsam in den Raum schoben, erschien hinter ihnen Hannan Mosag.
Oh. Oh nein. Das Schwert. Das verdammte Schwert …
Kapitel Zehn
Weiße Blüten wirbeln und kreisen auf ihrem Weg
hinab in die unergründliche See.
Die Frau und ihr Korb, ihre Hand blitzend rot
die in schneller sanfter Bewegung diese reinen
Schwingen
verstreut, damit sie einen Augenblick im Wind
schweben können.
Sie steht da, eine verlassene Göttin, die den Flug
gebiert, der scheitert und auf die breite Brust des Flusses
stürzt.
Ein Korb voller Vögel, bestimmt dazu zu ertrinken.
Sieh sie weinen im verzerrten Schatten der Stadt,
ihre Hand ein entkörperlichtes Ding,
mit schmutzigen Klauen und unaufhörlich sich
wiederholend
bringt sie den Tod, und in ihren Augen
steht das Entsetzen über das Leben.
Lady Elassara von Trate
Cormor Fural
D
onnergrollen und das schwere Trommeln der Regentropfen auf dem Dach. Der Sturm folgte dem Flusslauf und zerrte den Rand eines sich auftürmenden Wolkengebirges über Letheras. Unzeitgemäß und unwillkommen, machte das Wetter den einzigen Raum von Tehols Behausung schwül und dampfig. Es gab jetzt zwei Hocker mehr als früher. Bagg hatte sie aus einem Abfallhaufen gefischt. Auf einem der beiden saß Ublala Pung und weinte.
Was er jetzt schon mehr als einen Glockenschlag lang ohne jede Unterbrechung getan hatte; immer wieder wurde seine mächtige Gestalt von Schluchzern erschüttert, die den Hocker bedrohlich knirschen ließen.
In der Mitte des kleinen Raums ging Tehol auf und
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