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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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Behelfsgrabmale für Verwandte, die an Krankheiten, Altersschwäche, zu viel Alkohol, weißem Nektar oder Durhang gestorben waren. Kinder wanderten umher, ohne dass man sich um sie kümmerte, verfolgt von wilden Felsenratten, die sich mittlerweile unkontrolliert vermehrten und viel zu viele Krankheiten in sich trugen, als dass man sie noch hätte essen können.
    Das Volk der Nerek war zerstört, und aus dieser Grube würde es kein Entkommen mehr geben. Ihr Heimatland war ein gigantischer Friedhof, und die Städte der Letherii versprachen nichts als Schulden und Vernichtung. Es wurde ihnen keinerlei Sympathie entgegengebracht. Die Lebensweise der Letherii war hart, doch es war die wahre Lebensweise, die zivilisierte Art zu leben. Was sich leicht beweisen ließ: die Letherii blühten und gediehen, während andere Völker ins Straucheln gerieten oder schwach und arrogant blieben.
    Der bittere Wind konnte Seren Pedac jetzt nichts mehr anhaben. Die Wärme des Steins strömte durch sie hindurch. Mit geschlossenen Augen lehnte sie die Stirn an die angenehme Oberfläche.
    Wer geht da drinnen umher? Sind das die Ahnen der Edur, wie die Hiroth es behaupten? Wenn dem so war, warum konnten sie sie dann nicht deutlicher sehen als Seren selbst? Verschwommene Umrisse, die hin und her gingen – genauso verloren wie die Nerek-Kinder in ihren sterbenden Dörfern.
    Sie hatte ihre eigenen Überzeugungen, und auch wenn sie unangenehm waren, hielt sie an ihnen fest. Sie sind die Wächter der Sinnlosigkeit. Die Freisprecher des Absurden. Spiegelbilder unserer selbst, die wir für immer in planloser Wiederholung gefangen sind. Für immer verschwommen, denn das ist das Einzige, was wir wahrnehmen, wenn wir uns selbst, wenn wir unser Leben betrachten. Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen, der fruchtbare Boden, in dem Gedanken Wurzeln schlagen. Blasse Blumen unter einem leeren Himmel.
    Wenn sie gekonnt hätte, wäre sie in diese Mauer aus Felsen eingedrungen. Um eine Ewigkeit lang inmitten jener formlosen Umrisse dahinzuschreiten und vielleicht dann und wann hinauszublicken, dabei aber nicht die verkrüppelten Bäume, Moose und Flechten oder die gelegentlich vorbeikommenden Reisenden zu sehen. Nein, um nichts als den Wind zu sehen. Den ewig heulenden Wind.
     
    Sie konnte ihn schon kommen hören, lange bevor er in den flackernden Feuerschein trat. Das Geräusch seiner Schritte weckte auch die Nerek auf, die in einem groben Halbkreis unter zerfetzten Fellen zusammengekauert am Rande des Feuerscheins schliefen. Sie richteten sich rasch auf und wandten sich der Richtung zu, aus der das gleichmäßige Tappen sich näherte.
    Seren Pedac hielt den Blick weiterhin starr auf die Flammen gerichtet, eine zügellose Verschwendung von Holz, die Buruk den Bleichen warmhielt, während er dank einer Mischung aus Wein und weißem Nektar immer betrunkener wurde. Sie kämpfte gegen das Zucken eines ihrer Mundwinkel an, gegen das ungebetene und unwillkommene ironische Lächeln, das bittere Erheiterung angesichts der bevorstehenden Vereinigung gebrochener Herzen ausdrückte.
    Buruk der Bleiche trug geheime Anweisungen bei sich, eine Liste, die lang genug war, eine ganze Schriftrolle zu füllen, und die von anderen Händlern, Spekulanten und Amtsdienern stammte – und, wie sie vermutete, auch aus dem Königlichen Haushalt. Und was immer diese Anweisungen nach sich zogen – sie brachten den Mann um. Er hatte seinen Wein schon immer gemocht, aber ohne dass weißer Nektar, dieser verführerische Zerstörer, daruntergemischt wurde. Das war der neue Brennstoff, den die erlöschenden Gluten von Buruks Seele auf dieser Reise benötigten, und er würde ihn so sicher ertränken wie das tiefe Wasser der Fingerfoerde.
    Noch vier Jahre. Vielleicht.
    Die Nerek fielen lärmend über ihren Besucher her, Dutzende von Stimmen vermischten sich zu einem unheimlichen Gemurmel, wie Gläubige, die einen besonders verwirrenden Gott anflehten, und obwohl das Ereignis selbst in der Dunkelheit außerhalb des Lichtscheins verborgen war, konnte Seren Pedac es gut genug vor ihrem geistigen Auge sehen. Er gab sich alle Mühe, und nur seine Augen verrieten sein Unbehagen angesichts der endlosen Umarmungen, als er versuchte, jedem von ihnen mit etwas – irgendetwas – zu antworten, das nicht fälschlicherweise für eine Segnung gehalten werden konnte. Er würde sagen wollen, dass er kein Mann war, der einer solchen Ehrerbietung wert war. Er würde sagen wollen, dass er ein schäbiger,

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