SdG 09 - Gezeiten der Nacht
viertausendzweiundzwanzig Prozent der Anteile zu verkaufen und immer noch die Kontrolle zu behalten. Natürlich würde er zur Hauptattraktion der nächsten Tauchtage werden, sollte die Täuschung jemals aufgedeckt werden. »Aber ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen«, hatte Tehol mit einem breiten Lächeln gesagt. Er war schon ein Mann mit Humor, sein Herr.
Bagg kam nahe am alten Palast vorbei und gelangte dann in die dahinterliegenden verwinkelten Gässchen und vergessenen Straßen. Dieser Teil der Stadt wirkte praktisch leblos; niemand wagte sich nach draußen. Streunende Hunde hielten kurz beim Herumstöbern inne und schauten ihm nach. Ratten liefen vor ihm davon.
Er kam zu der Mauer um den viereckigen Turm, ging an ihr entlang bis zum Eingang. Eine kurze Pause, in der er mit Willenskraft die Nervosität unterdrückte, die ihn angesichts der Aussicht, das Gelände zu betreten, befallen hatte. Schließlich war der Azath tot. Er holte tief Luft, atmete langsam wieder aus und schritt voran.
Die Hügelgräber auf beiden Seiten waren auf merkwürdige Weise zusammengesackt, doch er konnte keine klaffenden Öffnungen sehen. Noch nicht. Er verließ den Pfad. Insekten wanden sich unter seinen Füßen oder wurden zermalmt. Die Grasbüschel sahen ausgemergelt aus und wimmelten von Leben.
Bagg kam zu einem Hügelgrab, dessen ihm zugewandte Seite verschwunden war. Stattdessen klaffte dort ein schwarzes Loch, über dem ein umgestürzter Baumstamm lag. Aus dem Innern hörte man ein scharrendes Geräusch.
Und dann tauchte Kessel auf. Klumpen aus weißen Würmern wanden sich in ihren zottigen, stumpfen Haaren und auf ihren Schultern. Sie zog sich hoch, wobei sie einen Zweig von dem Baumstamm zu Hilfe nahm, machte dann kurz Halt, um die Würmer abzuwischen. Die Geste hatte etwas Geziertes und merkwürdig Ergreifendes. »Es ist weg«, sagte sie. »Onkel Bagg, dieses hier ist weg.«
»Ich weiß.«
»Ich habe es nicht gesehen. Aber ich hätte es sehen müssen.«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist sehr verstohlen, Kessel. Und schnell. Alles, was es gebraucht hat, war ein Augenblick, in dem du ihm den Rücken zugedreht hast. Einen einzigen Augenblick, nicht mehr. Wie auch immer, ich bin ihm begegnet, und zumindest im Moment wird es niemanden belästigen.«
»Nichts läuft mehr so, wie es soll, Onkel Bagg. Ich brauche den einen da unten. Ich muss ihn irgendwie da rauskriegen.«
»Weißt du, was ihn hindert?«
Sie schüttelte den Kopf, und noch mehr Würmer flogen in alle Richtungen davon. »Zumindest hat er jetzt Schwerter. Onkel Brys hat sie ihm gebracht. Ich habe sie in das Hügelgrab gestoßen.«
»Brys Beddict? Schätzchen, du findest wirklich wertvolle Verbündete. Hat der Ceda dem Turm auch einen Besuch abgestattet?«
»Ich kenne keinen Ceda.«
»Das überrascht mich. Eigentlich müsste er herkommen, sobald er das über dich herausfindet.«
»Über mich?«
»Nun, genauer gesagt, über dein Herz.«
Sie legte den Kopf schräg. »Ich höre etwas pochen. In meiner Brust. Ist das mein Herz?«
»Ja. Wie oft kommt dieses Pochen?«
»Vielleicht achtmal am Tag. Jetzt. Früher vielleicht viermal. Ganz am Anfang einmal. Es war laut und hat im Kopf wehgetan.«
»Es hat wehgetan? Du spürst Schmerzen, Schätzchen?«
»Jetzt nicht mehr so sehr. Nur manchmal sticht’s noch. Und zwickt. Daher weiß ich, dass mit mir etwas nicht stimmt. Früher habe ich nichts gespürt.«
Bagg strich sich mit einer Hand durch die sich lichtenden Haare. Er blickte nach oben, musterte den Nachthimmel. Er war wolkenverhangen, doch die Wolken befanden sich in großer Höhe, und sie waren flach und glatt – eine durchscheinende Decke, durch die man da und dort die Sterne sehen konnte. Er seufzte. »In Ordnung, Schätzchen, zeig mir, wo du die Schwerter vergraben hast.«
Er folgte ihr zu einem Hügelgrab, das sich näher am Turm befand.
»Er ist in dem hier.«
Doch der Blick des Dieners wurde von einem völlig gleich aussehenden Hügelgrab angezogen, das sich neben dem erhob, auf das Kessel zeigte. »Tja, ich frage mich, wem das hier wohl gehören mag.«
»Sie verspricht mir immer irgendwas. Belohnungen. Die fünf, die alle anderen töten werden, wagen es nicht, ihr zu nahe zu kommen. Manchmal brennt ihre Wut in meinem Kopf wie Feuer. Sie ist sehr wütend, aber nicht auf mich, sagt sie. Diese Schlampen, sagt sie, und das verrät mir, dass sie schläft, denn das sagt sie nur, wenn sie schläft. Wenn sie wach ist, flüstert sie mir nette
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