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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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bestand, wie es schien, aus einer einzigen dicken Scheibe, die reihenweise Kerben am Rand hatte und so breit war, dass acht Krieger sie überschreiten konnten, ohne dass ihre Schultern sich berührten. Die Scheibe stand hochkant und füllte die gesamte Breite der Schlucht aus, in der tief unten die Katter schäumte. Der untere Teil des Rades verlor sich in der Dunkelheit der Kluft und dem Nebel, der unablässig von dem rasch dahinströmenden Wasser aufstieg. Um auf die andere Seite zu gelangen, musste man den geschwungenen, glitschigen Rand überqueren. Die Nabe des gewaltigen Rades war noch zu sehen, mindestens drei Mannslängen weiter unten. Oberschenkeldicke Stäbe aus poliertem Stein, gerade wie Speerschäfte, erstreckten sich auf beiden Seiten der Nabe von einem Vorsprung und schienen sich in die Felswand auf der Südseite der Kluft zu bohren.
    Die Trupps sammelten sich am nördlichen Rand und beobachteten den Waldrand auf der anderen Seite. Zwei Edur hatten das Rad bereits überquert, und einer war zurückgekehrt, um Bericht zu erstatten. Keine Anzeichen von Kundschaftern, keine Hinweise auf frische Lagerplätze. Der einsame Faraed, den sie getötet hatten, schien entweder weit vor der Hauptstreitmacht vorausgeschickt worden zu sein, oder er hatte sich aus eigenem Antrieb so weit vorgewagt. Sein Mut und seine Klugheit hatten ihn das Leben gekostet.
    Trull trat ganz nah an den Rand des Rades, wo sich der Stein aus dem umgebenden Fels herausschwang. Wie beim ersten Mal sah er eine dünne, milchige Schicht zwischen der perfekt behauenen Scheibe und dem rauen Fels der Klippe. Und genau wie er es vor langer, langer Zeit schon einmal getan hatte, wischte er den Schaum mit einem Finger weg, so dass eine gerade Linie sichtbar wurde – so schmal, dass nicht einmal eine Dolchklinge hineinpasste –, die die Konstruktion vom groben Fels trennte. Es war tatsächlich eine Scheibe, die irgendwie in die tief eingekerbte Schlucht gesetzt worden war.
    Und, was noch seltsamer war, die Scheibe bewegte sich. Drehte sich zunehmend auf der Stelle. Im Augenblick war sie in der Mitte von einer der schmalen Rinnen, die in parallelen Reihen in den Rand gehauen waren. Er wusste, dass er seinen Fuß auf diese erste Kerbe setzen und einfach stehen bleiben konnte. Und wenn er genug Geduld hätte, würde er schließlich – nach Tagen, vielleicht nach einer Woche, vielleicht auch nach noch längerer Zeit – auf der Südseite der Schlucht das Rad verlassen.
    Ein Rätsel, auf das es keine Antwort gab. Trull vermutete, dass dieses Ding niemals als Brücke gedacht gewesen war. Wahrscheinlich war es zu einem ganz anderen Zweck gebaut worden. Es ergab für ihn keinen Sinn, dass es nur dazu dienen sollte, was ihm damals, als er das erste Mal hier gewesen war, unverzüglich in den Sinn gekommen war. Schließlich gab es einfachere Mittel, das Verstreichen der Zeit zu messen.
    Trull richtete sich wieder auf und winkte seine Krieger hinüber.
    Ahlrada übernahm die Führung.
    Sie erreichten die andere Seite und schwärmten aus, auf der Suche nach Deckung. Das Gelände war noch immer abschüssig, und auch hier gab es Felsblöcke, Pinien und ein paar vereinzelte Eichen. Er und seine Männer würden in wenigen Augenblicken vorsichtig weiter den Hang hinabgehen, um nach gut zu verteidigenden Stellungen zu suchen, die freie Sicht auf den Pfad boten.
    Trull kauerte sich unweit von Ahlrada nieder und musterte das vor ihnen liegende Gelände; plötzlich grunzte der Krieger neben ihm, trat einen Schritt beiseite und fluchte leise vor sich hin.
    »Was ist los, Hauptmann?«
    »Ich habe gespürt, wie sich etwas … bewegt hat. Hier.«
    Trull begab sich zu seinem Hauptmann und sah, dass Ahlrada auf einem leicht gekrümmten Steinstreifen gestanden hatte, der etwas tiefer lag als der umgebende Fels. Er war von Staub und Kies bedeckt, sah aber zu glatt aus, um natürlichen Ursprungs zu sein. Trull streckte die Hand aus und wischte den Stein sauber.
    Und sah, dass geheimnisvolle Symbole in den Stein gemeißelt waren, Reihe um Reihe, in einer Sprache, die er nicht kannte. Tief eingegrabene Linien bildeten einen nicht ganz vollständigen Rahmen um die Schrift, wobei die Grundlinie und die Seitenlinien sichtbar waren. Unterhalb der Grundlinie begann sich gerade eine neue Reihe aus Schriftzeichen zu zeigen.
    Trull warf einen Blick zurück zur Brücke, dann wieder auf den versenkten Stein. »Er hat sich bewegt?«
    »Ja, da bin ich mir sicher«, sagte Ahlrada. »Nicht

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