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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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hilflose Schluchzer stiegen in ihr auf.
    Und er hielt sie fest.
    »Heile sie, Corlo.«
    »Ich bin so gut wie erledigt, verdammt –«
    »Jetzt gleich. Und dann soll sie schlafen. Sorge dafür, dass sie schläft –«
     
    Nein, du darfst nicht sterben. Nicht noch einmal. Ich brauche dich.
    So viele Schichten, die auf diese verhärteten Überreste drückten, ein Augenblick von hohem Druck, die dicke, ach so dicke Haut, von unzähligen kleinen Toden gezeichnet. Und Leben war Stimme – keine Worte, sondern Geräusche, Bewegung. Wo alles andere reglos war und stumm. Und wenn das letzte Echo, verklungen war, wartete das Vergessen.
    Schon das erste Mal zu sterben hätte genug sein müssen. Dies war schließlich eine fremde Welt. Das Tor versiegelt, hinweggelegt. Ihr Mann – wenn er denn noch lebte – war schon längst über seinen Kummer hinaus. Ihre Tochter war vielleicht selbst schon Mutter oder Großmutter. Sie hatte sich von Drachenblut genährt, da, im Kielwasser von Anomander. Irgendwo hatte sie fortbestanden und frei von Kummer gelebt.
    Es war wichtig gewesen, so zu denken. Ihre einzige Waffe gegen den Wahnsinn.
    Der Tod hielt nur ein einziges Geschenk bereit.
    Doch etwas hielt sie zurück.
    Etwas, das eine Stimme hatte. Dies sind tatsächlich ruhelose Meere. Ich hätte nicht gedacht, dass mein Trachten sich als so … leicht erweisen würde. Zugegeben, du bist nicht menschlich, aber du wirst ausreichen. Du wirst ausreichen.
    Die Überreste gerieten plötzlich in Bewegung, in knirschende Bewegung. Bruchstücke, winzige Fitzelchen, zu klein, um sichtbar zu sein, zogen sich zusammen. Als erinnerten sie sich daran, wozu sie einst einmal gehört hatten. Und im Meer, im Schlamm, gab es alles, was man brauchte. Für Fleisch, für Knochen und Blut. All diese wieder zum Leben erweckten Echos fanden sich zu einer Gestalt zusammen. Sie schaute voller Entsetzen zu.
    Schaute zu, wie der Körper – so vertraut und so fremdartig zugleich – sich durch den Schlamm nach oben wühlte. Schlamm, der leichter wurde, dünner, der schließlich nach außen barst, wie eine Fahne, und in der Strömung davonwirbelte. Arme reckten sich in die Höhe, ein Körper schob sich ins Blickfeld.
    Sie schwebte näher heran, war gezwungen, es zu tun, hineinzugehen, und dabei wusste sie doch, dass es zu früh war.
    Das da war ihr Körper, den sie vor so langer Zeit verlassen hatte. Es war nicht richtig. Nicht anständig.
    Gedankenlos krabbelte er über den Meeresgrund. Kreaturen mit langen Flossen schossen heran und wieder davon; die aufgewühlten Ablagerungen zogen sie an, doch die ihre Arme schwenkende Gestalt schreckte sie ab. Vielbeinige Wesen krabbelten vor ihr davon.
    Ein Augenblick, in dem alles merkwürdig verschwommen war – er ging vorüber, und dann glitzerte Sonnenlicht dicht über ihrem Kopf. Ihre Hände brachen durch die Wasseroberfläche, und unter ihren Füßen war fester Sand, der leicht schräg aufwärts führte.
    Das Gesicht kam an die Luft.
    Und sie wirbelte vorwärts, warf sich in den Körper, raste wie Feuer durch Muskeln und Knochen.
    Gefühle. Kälte, Wind, der Geruch nach Salz und all dem, was an einem Ufer verrottete.
    Bei Mutter Dunkel. Ich bin … am Leben.
     
    Er verkündete seine Rückkehr nicht mit einem Lachen, sondern mit Schreien.
    Alle hatten sich versammelt, nachdem die Nachricht vom Tod des Imperators sich verbreitet hatte. Die Stadt war eingenommen, doch Rhulad Sengar war dabei getötet worden. Sein Genick gebrochen, wie ein Schössling. Sein Leichnam lag noch immer an der Stelle, an der er gefallen war, und der Sklave Udinaas wachte über ihn, ein makabrer Wächter, der niemanden zur Kenntnis nahm, sondern einfach nur auf den münzenbesetzten Körper herabstarrte.
    Hannan Mosag. Mayen, mit Federhexe im Schlepptau. Midik Buhn, jetzt geblutet und ein wahrer Krieger. Hunderte von Edur-Kriegern, deren blutbespritzte Körper ebenso sehr von dem Ruhm kündeten, den sie errungen hatten, wie von dem Gemetzel, das sie veranstaltet hatten. Schweigende, blasse Bürger, vollkommen verängstigt angesichts der gespannten, erwartungsvollen Stimmung in der rauchgeschwängerten Luft.
    Sie alle wurden Zeugen, wie der Leichnam plötzlich krampfartig zu zucken begann und gellende Schreie ausstieß. Einen grässlichen Moment lang war Rhulads Genick immer noch gebrochen, so dass sein Kopf in einem unmöglichen Winkel zur Seite fiel, als er sich mühsam aufrappelte. Dann heilte der Knochen, und der Kopf richtete sich auf.

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