SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
wundgeritten.«
Heboric glitt von seinem Pferd, nahm die Zügel und machte sich in Richtung eines Seitenpfades auf. »Da ist eine Höhle in der Mauer«, sagte er. »Da haben jahrtausendelang Leute gelagert, warum nicht auch wir? Eines Tages«, fügte er hinzu, während er weiterging, »wird das Jadegefängnis zerbrechen, und die Narren werden herausstolpern und in der Asche ihrer Überzeugungen keuchen. Und an diesem Tag werden sie merken, dass es zu spät ist. Zu spät, um noch irgendetwas zu unternehmen.«
Noch mehr Funken, und Schlitzer sah, dass Felisin die Jüngere ihre eigene Pfeife anzündete. Der Daru strich sich mit einer Hand über die Haare und blinzelte im hellen Sonnenlicht, das von der Klippe zurückgeworfen wurde. Er stieg ab. »Also gut«, sagte er und führte sein Pferd am Zügel. »Lasst uns lagern.«
Graufrosch hüpfte hinter Heboric her, kletterte wie eine aufgedunsene Eidechse über die Felsen.
»Was hat er gemeint?«, fragte Felisin Schlitzer, während sie dem Pfad folgten. »Blut und Ältere Götter – was sind Ältere Götter?«
»Alte Götter, größtenteils vergessene Götter. Es gibt in Darujhistan einen Tempel, der einem von ihnen geweiht ist, der muss da schon seit tausend Jahren stehen. Der Gott hieß K’rul. Seine Anhänger sind bereits vor langer Zeit verschwunden. Aber vielleicht spielt das ja auch gar keine Rolle.«
Scillara, die hinter ihnen herging und ihr eigenes Pferd hinter sich herzerrte, hörte nicht mehr zu, als Schlitzer fortfuhr. Ältere Götter, neue Götter, Blut und Kriege – das alles war ihr fast egal. Sie wollte einfach nur noch ihre Beine ausruhen, die Schmerzen im Kreuz lindern, und alles essen, was sie noch in den Satteltaschen hatten.
Heboric Geisterhand hatte sie gerettet, hatte sie zurück ins Leben gezerrt, und das hatte so etwas wie Barmherzigkeit in ihrem Herzen aufflammen lassen, hatte ihre Neigung unterdrückt, den alten Mann auf der Stelle fallen zu lassen. Er wurde wirklich heimgesucht, und solche Dinge konnten den gesündesten Verstand ins Chaos ziehen. Aber was brachte es zu versuchen, einen Sinn in alledem zu sehen, was er gesagt hatte?
Die Götter, alt oder neu, gehörten nicht zu ihr. Noch gehörte sie zu ihnen. Sie spielten ihre Spiele des Aufsteigens, als wäre das Ergebnis irgendwie wichtig, als könnten sie die Farbe der Sonne ändern oder die Stimme des Windes, als könnten sie Wälder dazu bringen, in Wüsten zu wachsen, und Mütter dazu, ihre Kinder so sehr zu lieben, dass sie sie behielten. Die Gesetze menschlichen Fleisches waren alles, was zählte, die Notwendigkeit zu atmen, zu essen, zu trinken, Wärme zu finden in der Kälte der Nacht. Und über diese Mühen hinaus würde sie – wenn der letzte Atemzug eingesogen worden war – nun, dann würde sie nicht in der Verfassung sein, sich um irgendetwas zu kümmern … um das, was dann geschah, wer starb, wer geboren wurde, um die Schreie hungernder Kinder und die bösartigen Tyrannen, die sie verhungern ließen. Dies war, wie sie nun verstand, schlicht und einfach das Erbe der Gleichgültigkeit, der Einfluss der Zweckdienlichkeit, und es würde in der Sphäre der Sterblichen so weitergehen, bis der letzte Funke erloschen war, Götter hin oder her.
Und sie konnte ihren Frieden damit schließen. Etwas anderes zu tun, hieße, über das Unausweichliche zu schimpfen. Etwas anderes zu tun, hieße, das zu tun, was Heboric Geisterhand tat – und wohin hatte ihn das gebracht? In den Wahnsinn. Zu erkennen, dass alles sinnlos war, war die schlimmste Wahrheit überhaupt, und für diejenigen, die klarsichtig genug waren, es zu sehen, gab es keinen Ausweg.
Sie hatte den Zustand des Vergessens schließlich schon einmal erreicht und war zurückgekehrt, und daher wusste sie, dass es an jenem traumgeschwängerten Ort nichts zu fürchten gab.
Genau wie Heboric gesagt hatte, wies der Unterschlupf die Spuren zahlloser Reisender auf, die hier gelagert hatten. Von Felsbrocken eingefasste Feuerstellen, rötlichockerfarbene Zeichnungen an den ausgebleichten Wänden, haufenweise Tonscherben und in der Hitze geplatzte, verbrannte Knochen. Der Lehmfußboden der Höhle war von unzähligen Füßen festgetrampelt. Ganz in der Nähe hörte man Wasser plätschern, und Scillara sah Heboric vor einem Teich kauern, der von einer Quelle gespeist wurde; er hielt seine glühenden Hände über die ruhige, dunkle und spiegelnde Oberfläche, als zögerte er, sie in das kühle Nass zu tauchen. Weiße Schmetterlinge
Weitere Kostenlose Bücher