SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
denen sie sich nicht hatte widersetzen können, zu viele eingeschlagene Tore, zu viele zu Geröll zerbröckelte Mauern. Während die Stadt selbst in der Lage zu sein schien, sich immer aufs Neue aus dem Staub der Zerstörung zu erheben, hatte sich herausgestellt, dass Scalissara nicht unendlich oft wiederauferstehen konnte. Und nach der letzten Eroberung war sie nicht zur Vorherrschaft zurückgekehrt. Genauer gesagt war sie überhaupt nicht zurückgekehrt.
Jetzt gehörte der Tempel der Königin der Träume.
Einer fremden Göttin. Corabb machte ein finsteres Gesicht. Nun, vielleicht nicht vollkommen fremd, aber dennoch …
Die großen Scalissara-Statuen, die einst an den Ecken der äußeren Befestigungen der Stadt gestanden hatten – mit hoch erhobenen, plumpen, fleischigen Marmorarmen, in der einen Hand einen entwurzelten Olivenbaum, in der anderen ein Neugeborenes, dessen Nabelschnur schlangengleich um ihren Unterarm geschlungen und dann quer über ihren Körper und hinunter zum Bauch verlaufen war – diese Statuen waren fort. Bei der letzten Feuersbrunst zerstört worden. In drei der vier Ecken war jetzt nur noch das Podest übrig, nackte Füße, die über den Knöcheln sauber abgebrochen waren, und bei der vierten war selbst das nicht mehr vorhanden.
In den Tagen ihrer Vorherrschaft war jedes neugeborene Mädchen nach ihr benannt worden, und jedes elternlose Kind – ob Junge oder Mädchen – war in ihrem Tempel aufgenommen worden, um ernährt, erzogen und in den Weisen des Kalten Traums ausgebildet zu werden, einem geheimnisvollen Ritual, das eine Art gespaltenen Geist oder etwas Ähnliches feierte. Über die esoterischen Gebräuche der unterschiedlichen Kulte Bescheid zu wissen, gehörte nicht gerade zu Corabbs Stärken, aber Leoman war ein solches Findelkind gewesen, und er hatte ein- oder zweimal von solchen Dingen gesprochen, wenn Wein oder Durhang seine Zunge gelöst hatten. Begierden und Notwendigkeiten, der Krieg im Geist eines Sterblichen, dies lag im Herzen des Kalten Traums. Corabb verstand nicht viel davon. Leoman hatte nur wenige Jahre unter der Obhut der Tempelpriesterinnen gelebt, ehe seine wilden Leidenschaften dafür gesorgt hatten, dass er auf die Straße geworfen worden war. Und von den Straßen war er hinaus in die Odhans gezogen, um bei den Wüstenstämmen zu leben und so von der Sonne und dem ewig wehenden Sand der Raraku zum größten Krieger geschmiedet zu werden, den das Reich der Sieben Städte jemals gesehen hatte. Zumindest zu Corabbs Lebzeiten. Natürlich hatten die Falah’dan der Heiligen Städte in ihrer Zeit ebenfalls über große Krieger verfügt, aber das waren keine Anführer gewesen; sie hatten die Tricks nicht gekannt, die man brauchte, um zu befehlen. Außerdem hatten Dassem Ultor und sein Erstes Schwert sie alle niedergehauen, einen nach dem anderen, und das war es dann gewesen.
Leoman hatte Y’Ghatan dichtgemacht und innerhalb der neuen Stadtmauern Olivenöl im Wert eines Lösegelds für einen Imperator eingeschlossen. Die Maethgara waren zum Bersten gefüllt, und die Händler und ihre Gilden hatten ihrem Entsetzen über diese ungeheuerliche Entscheidung lautstark Ausdruck verliehen – wenn auch nicht mehr in er Öffentlichkeit, seit Leoman in einem Wutanfall sieben Repräsentanten im Großen Maeth ertränkt hatte, der direkt an den Palast gebaut war. Seit er sie in ihrem eigenen Öl ertränkt hatte. Nun ersuchten Priester und Hexen um Becher dieser mörderischen bernsteinfarbenen Flüssigkeit.
Brunspatz hatte den Befehl über die Stadtgarnison erhalten, einen Haufen betrunkener, fauler Schläger. Beim ersten Rundgang durch die Soldatenunterkünfte hatte sich gezeigt, dass das Militärlager kaum mehr als ein rauer Harem war, rauchgeschwängert und voller verheulter, noch nicht geschlechtsreifer kleiner Jungen und Mädchen, die in einer alptraumhaften Welt krankhaften Missbrauchs und Sklaventums herumstolperten. Dreißig Offiziere waren an jenem Tag hingerichtet worden, der dienstälteste von Leoman persönlich. Die Kinder waren eingesammelt und auf die Tempel der Stadt verteilt worden, mit dem Befehl, den Schaden zu heilen und ihre Erinnerungen so weit wie möglich zu säubern. Die Soldaten der Garnison hatten Befehl erhalten, jeden Backstein und jede Fliese der Unterkünfte sauber zu scheuern, und dann hatte Brunspatz damit begonnen, sie zu drillen, damit sie malazanischen Belagerungstaktiken – mit denen sie verdächtig vertraut schien – zuwiderhandeln
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