SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
warum?«
»Braucht die Freiheit eine Rechtfertigung?« Sie strich sich Staub und Spinnweben vom mageren Körper, blickte dann nach Westen. »Eines meiner Rituale ist zerschmettert worden. Ich muss es wieder in Ordnung bringen.«
Paran dachte einen Augenblick über ihre Worte nach und fragte schließlich: »Ein bindendes Ritual? Etwas oder jemand war gefangen und sucht jetzt die Freiheit – genau wie du?«
Sie wirkte verstimmt über den Vergleich. »Im Gegensatz zu dem Wesen, das ich gefangen genommen hatte, habe ich kein Interesse daran, die Welt zu erobern.«
Oh. »Ich bin Ganoes Paran.«
»Ganath. Du siehst bemitleidenswert aus, wie ein unterernährter Imass – bist du hier, um dich mir entgegenzustellen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin zufällig hier vorbeigekommen, Ganath. Ich wünsche dir viel Glück –«
Sie drehte sich plötzlich um, starrte nach Osten, den Kopf geneigt.
»Ist etwas?«, fragte er. »T’lan Imass?«
Sie blickte ihn an. »Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht … nichts. Sag, gibt es südlich von hier ein Meer?«
»War da eins, als du … noch nicht in deinem Hügelgrab warst?«
»Ja.«
Paran lächelte. »Ganath, ein Stück südlich von hier ist tatsächlich ein Meer, und genau dort will ich hin.«
»Dann werde ich mit dir reisen. Wieso reist du dorthin?«
»Um mit einigen Leuten zu sprechen. Und du? Ich dachte, du hättest es eilig, das Ritual wieder in Ordnung zu bringen?«
»Ja, das stimmt auch, aber ich stelle fest, dass es etwas gibt, das Vorrang hat.«
»Und das wäre?«
»Der Wunsch nach einem Bad.«
Zu vollgefressen, um zu fliegen, zerstreuten sich die Geier mit empörtem Gekreische, hüpften und watschelten mit halb angelegten Flügeln davon und ließen das Festmahl – das einmal Menschen gewesen waren – hinter sich liegen. Apsalar verlangsamte ihre Schritte, war sich nicht sicher, ob sie dieser Hauptstraße weiter folgen wollte. Andererseits war auch aus den Seitenstraßen das heisere Gekrächze und Gezänk fressender Geier zu hören, was sie vermuten ließ, dass es keinen anderen Weg gab.
Die Dorfbewohner waren überaus qualvoll gestorben – diese Seuche war erbarmungslos, der Pfad, den man in ihrem Griff zum Tor des Vermummten beschreiten musste, lang und schmerzhaft. Geschwollene Drüsen, die langsam die Kehle verschlossen – wodurch es unmöglich wurde, feste Nahrung zu sich zu nehmen – und die Luftwege verengten, so dass jeder Atemzug zur Qual wurde. Und in den Eingeweiden Gase, die den Magen aufblähten. Ohne irgendeine Möglichkeit zu entweichen, brachten sie schließlich die Magenwand zum Bersten, so dass das Opfer von der eigenen Magensäure verzehrt wurde. Dies waren leider die letzten Stadien der Krankheit. Davor gab es Fieber, so hoch, dass das Gehirn im Schädel gekocht wurde und die Erkrankten halb in den Wahnsinn getrieben wurden – ein Zustand, von dem man sich nie wieder erholte, selbst wenn die Pest aus irgeneinem Grund in diesem Stadium zum Stillstand kam. Aus den Augen troff Schleim, aus den Ohren strömte Blut, das Fleisch an den Gelenken gelierte – dies war die Herrin in all ihrer schmutzigen Pracht.
Die beiden Reptilienskelette, die Apsalar begleiteten, waren vorausgelaufen und machten sich einen Spaß daraus, die Geier zu erschrecken und durch summende Fliegenschwärme zu preschen. Jetzt kamen sie zurückgehüpft, ohne weiter auf die geschwärzten, halb zerfressenen Leichen zu achten, über die sie hinwegstiegen.
»Nicht-Apsalar! Du bist zu langsam!«
»Nein, Telorast«, rief Rinnsel. »Nicht langsam genug!«
»Ja, nicht langsam genug! Uns gefällt dieses Dorf – wir wollen spielen!«
Apsalar führte ihr sanftmütiges Pferd weiter die Straße entlang. Aus irgendeinem Grund waren etwa zwanzig Dorfbewohner hierhergekrochen; vielleicht in einem letzten, armseligen Versuch, dem zu entkommen, vor dem es kein Entkommen gab. Und sie hatten bis zu ihrem letzten Atemzug aufeinander eingeschlagen und miteinander gekämpft. »Ihr dürft gern so lange hierbleiben, wie ihr wollt«, sagte sie zu den beiden Kreaturen.
»Das geht nicht«, sagte Telorast. »Wir sind immerhin deine Wächter. Deine rastlosen, stets wachsamen Wachen. Wir werden über dich wachen, egal, wie krank und ekelhaft du wirst.«
»Und dann werde wir dir die Augen aushacken!«
»Rinnsel! Sag ihr das doch nicht!«
»Nun, wir werden natürlich warten, bis sie schläft. Und Fieberkrämpfe hat.«
»Genau. Dann wird sie es ohnehin wollen.«
»Ich weiß, aber
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