SEAL Team 12: Geheime Lügen (German Edition)
ihnen herein und warf goldenes Licht auf die vernarbten Fingerknöchel des SEAL s.
»Hast du schon mal an einem Motor geschraubt, Ken ?« , hatte er gefragt, als Kendal an diesem Morgen in die Scheune geschlendert gekommen war.
»Nein « , hatte Kendal erwidert und versucht, sich zurückzuziehen.
»Dann nimm mal die Trittleiter dort. Ich könnte ein wenig Hilfe gebrauchen .«
Und schließlich hatte Kendal schweren Herzens die Leiter zu Chase geschleppt. Bereits am Abend zuvor war ihm von diesem gezeigt worden, wie man aus einem Stück Kiefernholz etwas schnitzte. Und obwohl Kendal sich äußerst ungeschickt angestellt und Chase’ Anweisungen nur mit Mühe hatte befolgen können, war dieser nie laut geworden. Dass Kendal nun so zögerte, war keine übertriebene Vorsicht. Er sperrte sich innerlich, von diesem Ort fortzugehen, und wollte nicht, dass Chase den Pick-up reparierte.
Abwesend tat er so, als würde er dem Mann zuhören, während dieser ihm die unterschiedlichen Bestandteile des Motors erklärte. Die Erkenntnis, dass Chase von ihm erwartete, den Truck nach ihrer Abreise am Laufen zu halten, bereitete ihm Kopfschmerzen.
»Alte Filter verstopfen « , erläuterte Chase gerade. »Das schwarze Zeug hier verklebt ihn, sodass der Motor keine Luft mehr bekommt. Sollte er zu husten anfangen, sprühst du den Filter hiermit ein .« Er griff nach einer Dose und schüttelte sie, sodass es klackerte. »Hier, versuch’s mal .«
Zögerlich nahm Kendal sie entgegen, während er auf Zehenspitzen auf der wackeligen Trittleiter stehen musste.
»Noch ein bisschen mehr « , wies ihn Chase an. »Ich werde eine Ersatzdose ins Handschuhfach legen. Mach du hier weiter und schraub dann die Abdeckung wieder drauf .«
Kendal befolgte Chase’ Anweisungen, brauchte in Anbetracht seines verbundenen Fingers jedoch mehrere Anläufe, bis er die Mutter aufs Gewinde geschraubt hatte.
»Fertig « , sagte Chase und trat vor die Motorhaube, sodass Kendal mit der Trittleiter hinter ihm hertrotten musste. Dann entfernte der SEAL einen schwarzen Deckel und zog eine lange Metallstange heraus. »Hiermit misst man den Ölstand .«
Es dauerte einen Moment, bis Kendal kapierte, dass Chase von »Öl « sprach und nicht »Aal « meinte.
»Alte Autos und Trucks verbrennen Öl, also muss man den Ölstand im Auge behalten. So .« Chase griff nach dem Lappen, den er auf dem Kotflügel abgelegt hatte, wischte die Metallstange damit ab und tauchte sie anschließend wieder zurück in den Behälter. »Der Stand muss zwischen diesen beiden Markierungen liegen .« Er zeigte Kendal die Stange. »Was siehst du ?«
»Das reicht nicht « , vermutete Kendal.
»Richtig. 10-W -40« , bestätigte Chase und hielt ihm eine Plastikflasche unter die Nase. »Ich werde noch zwei davon zu dem Filterspray ins Handschuhfach legen .«
Der tiefe Singsang in der Stimme des Mannes erinnerte Kendal an das Schnurren eines Katers.
Er beobachtete, wie Chase eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Öffnung schüttete. Es gluckste, gluckste und gluckste. Kendal ließ seinen Blick an Chase’ Arm hinaufwandern, begutachtete dessen Muskeln, die durch das abgeschnittene T-Shirt entblößt wurden, und fragte sich, ob er wohl auch einmal so trainiert sein würde.
Vielleicht hätte er auch so eine Tätowierung. Sie war ihm schon häufiger ins Auge gefallen, aber nun bemerkte er zum ersten Mal, dass das Gerippe mit den langen, schwarzen Haaren ein Baby im Arm hielt. Unvermittelt musste er an die Grabsteine vorm Haus denken und brachte sie mit dem Tattoo in Verbindung.
Wenn das Chase’ Mutter war, musste das Skelett mit dem Kopfschmuck sein Großvater sein, was bedeutete, dass der große Knochenmann seinen Vater darstellte, bei dessen Tod Chase noch klein gewesen war.
»Möchtest du etwas von mir wissen, Ken ?« , fragte Chase, der Kendals Blick bemerkt hatte.
Dieser schaute rasch zur Seite. »Nein, Sir .«
Chase musterte ihn. Seine Augen waren ebenso blau wie der Himmel.
»Wie alt waren Sie, als Ihr Vater gestorben ist ?« , hörte Kendal sich sagen und hoffte, dass seine Frage nicht zu denen gehörte, die man nicht stellte.
»Fünf « , antwortete Chase geradeheraus.
»Haben Sie ihn vermisst ?«
Chase zuckte mit den Schultern. »Später, ja. Als ich alt genug war, um zu begreifen, dass er nicht zurückkommen würde .«
Kendal gefiel diese Antwort ganz und gar nicht. Er wollte seinen Vater nicht vermissen. Niemals ! »Ich vermisse meinen Vater nicht .« Er senkte den
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