Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
Mutter – Regina hieß sie, nicht wahr?«
»Ja. Er muss beide gekannt haben, meinen Vater und meine Mutter. Aber wissen Sie, ich glaube wirklich nicht, dass Thornton mit diesen Geschichten etwas zu tun hat. Er ist einfach nicht der Typ, der bewaffnet durch die Gegend rennt und Mordpläne schmiedet. Er mag ja nicht so genial sein oder nicht so tolle akademische Leistungen vorweisen können wie mein Vater, aber er ist ein guter Prof.«
King nickte. »Richtig, er hatte weder die geistige Brillanz Ihres Vaters noch einen Doktortitel von Berkeley. Und trotzdem sind beide am gleichen College gelandet. Wissen Sie, warum?«
»Warum?« Kates Tonfall klang abweisend.
Michelle legte nach: »Wir fragen uns, warum Ihr Vater nicht an einer besseren Uni gelehrt hat, sagen wir in Harvard oder Yale. Außer seiner Dissertation in Berkeley hat er schließlich noch vier Bücher geschrieben, die angeblich zu den zehn besten Werken auf ihrem Gebiet gehören. Er war ein echter Gelehrter, eine Koryphäe.«
»Vielleicht wollte er einfach nur an eine kleine Uni«, sagte Kate.
»Oder es gab etwas in seiner Vergangenheit, das einer Berufung an die ganz großen Unis im Wege stand«, bemerkte King.
»Das glaube ich nicht«, sagte Kate. »Das wäre doch allgemein bekannt.«
»Nicht unbedingt. Nicht, wenn es aus seinem offiziellen Lebenslauf getilgt wurde und nur noch einigen wenigen einflussreichen Personen bekannt war, auf die es aber im akademischen Klüngel nun mal ankommt. Sie haben ihm daraus möglicherweise einen Strick gedreht, und so landete er am Atticus, das sich zweifellos glücklich schätzte, einen so guten Mann zu kriegen, auch wenn es da ein paar dunkle Stellen in seiner Vergangenheit gab.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, um was es sich gehandelt haben könnte?«, fragte Michelle.
Kate gab keine Antwort.
»Schauen Sie«, sagte King, »wir sind nicht drauf aus, Ihrem Vater noch mehr anzuhängen. Er möge in Frieden ruhen. Aber wenn der Unbekannte, mit dem er in jener Nacht sprach, mitverantwortlich an dem Mord an Ritter war, dann soll er auch dafür bezahlen. Der Schlüssel zu ihm liegt möglicherweise in der Vergangenheit Ihres Vaters. So, wie ich das gegenwärtig sehe, kannte dieser Kerl Ihren Vater aus früheren Zeiten und wusste wahrscheinlich auch, aus welchem Grund Arnold Ramsey der Zugang zu den Harvards dieser Welt verwehrt blieb – immer vorausgesetzt, er wurde tatsächlich abserviert.«
»Kate«, sagte Michelle, »Sie sind unsere einzige Hoffnung. Wenn Sie uns nicht alles sagen, was Sie wissen, wird es uns sehr, sehr schwer fallen, die Wahrheit herauszufinden. Und ich glaube doch, dass auch Sie die Wahrheit wissen wollen, sonst hätten Sie uns kaum angerufen.«
Kate schwieg und dachte nach. Schließlich seufzte sie und sagte: »Okay, okay, da war was. Meine Mutter hat es mir erzählt, relativ kurz bevor sie sich umbrachte.«
»Worum ging es, Kate?«, half ihr Michelle weiter.
»Sie sagte, mein Vater sei einmal verhaftet worden, bei einer Demonstration – ich glaube, gegen den Vietnamkrieg.«
»Weshalb? Wegen ungebührlichen Benehmens oder was?«, fragte King.
»Nein, er soll jemanden getötet haben.«
King beugte sich näher zu ihr. »Wen und auf welche Weise, Kate?«, fragte er. »Sagen Sie uns alles, woran Sie sich erinnern können.«
»Ich hab’s nur von meiner Mutter gehört, und sie hat sich nicht allzu deutlich ausgedrückt. Gegen Ende ihres Lebens hat sie ziemlich viel getrunken.« Kate zog ein Taschentuch heraus und betupfte sich die Augen.
»Ich verstehe, wie schwer Ihnen das fällt, Kate«, sagte King. »Aber es wird sicher leichter, wenn Sie darüber sprechen.«
»Soweit ich es verstanden habe, ging es um einen Polizisten oder um einen anderen Offiziellen. Er starb während so einer Anti-Kriegs-Demonstration, die völlig aus dem Ruder lief, in Los Angeles, sagte Mutter, glaube ich. Mein Vater wurde deswegen verhaftet. Es sah schlecht für ihn aus, aber dann hat sich das Blatt plötzlich gewendet. Meine Mutter meinte, irgendwelche Anwälte hätten sich des Falls angenommen. Am Ende wurde die Anklage fallen gelassen. Mutter sagte, die Polizei hätte die Beweise ohnehin getürkt. Sie hätte einen Sündenbock gesucht, und da hätten sie eben meinen Vater genommen. Sie war ganz sicher, dass Dad nichts verbrochen hatte.«
»Aber der Fall wurde doch bestimmt in den Zeitungen breitgetreten«, bemerkte Michelle.
»Ich weiß nicht, ob überhaupt was darüber in den Zeitungen stand. Irgendwo aber
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