Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
wurde der Vorfall doch vermerkt, denn er schadete offensichtlich Dads Karriere. Ich hab die Geschichte nachgeprüft. Berkeley hat Dad noch promovieren lassen, aber nur ungern. Ich glaube, es blieb ihnen nichts anderes übrig, weil er schon alle Scheine beisammen und die Dissertation bereits abgeschlossen und eingereicht hatte. Der Vorfall ereignete sich kurz vor der letzten Prüfung und sprach sich in akademischen Kreisen herum, sodass ihm alle Türen verschlossen blieben, wo immer er sich danach auch bewarb. Meine Mutter sagte, er hat’s überall versucht und sich immer so gerade über Wasser gehalten, bevor er den Job am Atticus bekam. Natürlich hat er in diesen Jahren auch all die Bücher geschrieben, die in der Fachwelt so gut ankamen. Im Rückblick denke ich, mein Vater war so verbittert über den Boykott der großen Unis, dass er sogar dann am Atticus geblieben wäre, wenn man ihn schließlich doch noch an ein besseres College berufen hätte. Er war ein sehr loyaler Mensch, und Atticus hatte ihm eine Chance gegeben.«
»Haben Sie eine Ahnung, wie Ihre Eltern die mageren Jahre überstanden haben?«, fragte King. »Hat Ihre Mutter gearbeitet?«
»Hier und da mal, aber nichts von Dauer. Sie hat meinem Vater bei seinen Büchern geholfen, Recherchen für ihn gemacht und so. Aber wie sie sich durchgeschlagen haben, weiß ich beim besten Willen nicht.« Kate rieb sich die Augen. »Warum? Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich frage mich«, erwiderte King, »was das für Anwälte waren, die damals Ihrem Vater beigesprungen sind. Hatte er betuchte Eltern?«
Kate wirkte verblüfft. »Nein, mein Vater stammte von einer Milchvieh-Farm in Wisconsin. Meine Mutter kam aus Florida. Sie waren beide ziemlich arm.«
»Umso rätselhafter wird die Geschichte. Aus welchem Grund helfen ihm dann diese Anwälte? Und ich frage mich auch, ob Ihre Eltern in den schwierigen Jahren aus einer unbekannten Quelle finanziell unterstützt wurden.«
»Das könnte schon sein«, meinte Kate. »Aber ich habe keine Ahnung, welche Quelle das war.«
Michelle sah King an. »Du meinst, der nächtliche Besucher in Ramseys Arbeitszimmer könnte etwas mit dem Zwischenfall in L. A. zu tun haben?«
»Überleg doch mal Folgendes: Da passiert diese Sache in L. A., und Arnold Ramsey wird dafür eingebuchtet. Aber angenommen, er war nicht allein? Angenommen, es war noch jemand anders beteiligt, jemand mit guten Verbindungen? Damit ließe sich das plötzliche Auftauchen schicker Anwälte erklären. Ich kenne meine Zunft – normalerweise arbeiten meine Kollegen nicht für einen Gotteslohn.«
Michelle nickte. »Das wäre auch eine Erklärung dafür, warum der Unbekannte Regina Ramsey erwähnt hat. Vielleicht hat er sich auf die früheren Auseinandersetzungen mit staatlichen und anderen Autoritäten bezogen, um Ramsey dazu zu bringen, zur Waffe zu greifen und den Kampf wieder aufzunehmen.«
»Mein Gott, das ist doch alles kaum zu fassen«, sagte Kate, die aussah, als wolle sie gleich anfangen zu weinen. »Mein Vater war ein genialer Kopf. Er hätte in Harvard oder Yale oder Berkeley lehren sollen. Und da fabriziert die Polizei ein paar Lügen, und alles ist zerstört. Kein Wunder, dass er sich gegen das Establishment aufgelehnt hat. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit?«
»Es gibt keine«, sagte King.
»Ich weiß noch genau, wie es war, als sie es mir gesagt haben. Dass er diesen Anschlag auf Ritter gemacht hatte und… und dass er tot war.«
»Sie sagten, Sie hätten damals gerade Mathe gehabt«, meinte Michelle.
Kate nickte. »Ich bin auf den Flur rausgegangen, und da standen Thornton und meine Mutter. Mir war sofort klar, dass was Schlimmes passiert sein musste.«
King sah sie verdutzt an. »Thornton Jorst begleitete Ihre Mutter? Warum?«
»Er war doch derjenige, der Mom die Nachricht überbracht hatte. Hat er Ihnen das denn nicht erzählt?«
»Nein, hat er nicht«, sagte Michelle nachdrücklich.
»Wieso wusste er schon vor Ihrer Mutter Bescheid?«, fragte King zweifelnd.
Kate sah ihn verwirrt an. »Das weiß ich nicht. Ich ging immer davon aus, er hätte es aus dem Fernsehen erfahren.«
»Um welche Zeit haben sie Sie denn aus dem Unterricht geholt?«, fragte King.
»Um welche Zeit? Ich… ich weiß nicht. Das ist schon so lange her.«
»Denken Sie nach, Kate. Es ist wichtig.«
Sie schwieg eine Minute lang, dann sagte sie: »Also, es war am Vormittag, eine ganze Weile vor dem Mittagessen, das weiß ich noch. Vielleicht so gegen elf
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