Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
hätte gesehen, dass Sie meinen Vater keineswegs hätten erschießen müssen, weil der seine Waffe schon gesenkt hatte, als Sie abdrückten. Morse hat Sie als ausgemachten Killer bezeichnet.« Kate wandte sich wieder an Sidney Morse. »Alles Lügen.«
Morse schüttelte den Kopf. »Natürlich. Das gehörte doch zum Stück!«
»Es ist gefährlich, einem Wahnsinnigen Glauben zu schenken, Kate«, sagte King.
»Aber, aber, Agent King! Ich bin kein Wahnsinniger, sondern ein Visionär. Doch ich kann Ihnen versichern, dass die Grenzlinie zwischen beiden nur sehr dünn ist. Und jetzt…«, sagte Morse mit einer weit ausholenden, theatralischen Geste, »… jetzt kommt der dritte und letzte Akt. Der tragische Tod der Kate Ramsey, die, unterstützt und ermutigt von dem armen, geistesgestörten Ex-Secret-Service-Agenten Bob Scott, ihren geliebten Vater rächt und dabei John Bruno und Sean King mit sich in den Tod nimmt… Die Beweise, die man dafür finden wird, werden natürlich mir zu verdanken sein. Denken Sie nur einmal an diese atemberaubende Symmetrie: Vater und Tochter, die Mörder zweier Präsidentschaftskandidaten, finden an ein und derselben Stelle den Tod. Das ist wirklich eines der besten Stücke, die ich je geschrieben habe.«
»Und Sie sind wirklich vollkommen wahnsinnig«, sagte King.
»Das Mittelmaß wirft immer mit Steinen nach dem Genie«, erwiderte Morse aalglatt. »Und nun wird das letzte Mitglied der Familie Ramsey – der reizenden, liebevollen Familie Ramsey – endgültig vom Erdboden verschwinden. Du wirst wunderschön sterben, Kate, das weiß ich – und wenn du tot bist, kann ich endlich wieder aufleben. Meine künstlerische Potenz ist wiederhergestellt. Eine neue Identität und Europa winken mir bereits. Meine Möglichkeiten sind grenzenlos, sogar ohne deine Mutter .« Er richtete seinen Revolver auf Kate.
King hob ebenfalls die Waffe. »Sie träumen, Sid. Fakt ist, dass ich Ihre Chancen auf eine einzige reduziert habe.«
»Da sind nur Platzpatronen drin«, sagte Morse. »Das haben Sie doch selber vorhin erst festgestellt.«
»Aus diesem Grund habe ich Kate ihre Waffe aus der Hand geschlagen und sie dann aufgehoben, als die Lichter ausgingen.«
»Sie bluffen.«
»Meinen Sie wirklich? Meine Pistole liegt auf dem Boden. Aber prüfen Sie es bitte nicht nach, weil ich Sie dann sofort erschießen werde. Ein Trick von mir, so ganz nach Ihrem Geschmack – ich erinnere an den Fahrstuhl. Außerdem sehen beide Waffen gleich aus, Sie werden sie also ohnehin nicht voneinander unterscheiden können… Aber bitte sehr, schauen Sie nach. Wenn die Kugel dann in Ihren Schädel kracht, dürfte Ihnen endgültig klar sein, dass Sie sich geirrt haben. Sie haben versagt, Sid. Im Theater darf man die Bühnenwaffen nie aus den Augen lassen. Ein genialer Regisseur wie Sie sollte das eigentlich wissen.«
Morses Selbstsicherheit schien zu schwinden.
King hakte sofort nach. »Was ist los, Sid? Sind Sie nervös geworden? Einen unbewaffneten Mann zu erschießen und alte Damen in Badewannen zu ertränken – das erfordert keinen Mut. Aber jetzt wollen wir mal sehen, ob Sie wirklich mutig sind. Jetzt hocken Sie nicht mehr als Strippenzieher in den Kulissen, sondern sind selbst der Hauptdarsteller. Sie stehen allein im Rampenlicht, und Ihr Publikum wartet.«
»Sie sind ein lausiger Schauspieler, King«, gab Morse zurück, »und Ihr Maulheldentum ist wenig überzeugend.« Aber seine Stimme klang angespannt.
»Da gebe ich Ihnen Recht, ich bin kein Schauspieler. Aber das muss ich auch nicht sein, denn hier geht es ja nicht um eine Inszenierung. Die Pistolenkugeln sind absolut real, und mindestens einer von uns wird sterben und nicht wieder aufstehen, um eine Zugabe zu geben. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Sid: Duelle sind doch tolle Theaterszenen – also los. Nur wir beide.« King krümmte den Finger um den Abzug. »Ich zähle bis drei.« Morse war kreidebleich geworden. Sein Atem beschleunigte sich.
King schien ihn mit seinem Blick zu durchbohren. »Na, nun kommen Sie schon, flippen Sie mir nicht aus. Ich bin doch bloß ein ehemaliger Secret-Service-Agent. Sicher, ich habe schon Kerle umgelegt, die auf mich geschossen haben, aber dazu gehört schließlich nicht viel, oder? Sie sagten ja, in Ihrer Liga hab ich nichts zu melden.« King machte eine kurze Pause, dann fing er an zu zählen: »Eins…«
Morses Hände zitterten, und er trat einen Schritt zurück.
»Seit acht Jahren hab ich keinen einzigen Schuss
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