Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
Dinge fragte ihn King, wie es Joan Dillinger gehe.
»Kann ich dir leider nicht sagen.«
»Ach was! Ich dachte, ihr zwei arbeitet eng zusammen.«
»Haben wir. Bis sie gegangen ist.«
»Gegangen? Sie arbeitet nicht mehr im Washingtoner Büro?«
»Nein, nein, sie hat den Dienst quittiert.«
King hätte fast das Telefon fallen lassen. »Joan ist nicht mehr beim Secret Service?«
»Sie hat uns vor ungefähr einem Jahr verlassen. Arbeitet jetzt bei einer privaten Sicherheitsfirma als Beraterin und macht angeblich ’nen Haufen Kies. Braucht aber wahrscheinlich auch jeden Cent. Du weißt ja, Joan lebt gern auf großem Fuße.«
»Hast du zufällig ihre Telefonnummer?« King notierte sich die Antwort.
»Du hast ja wahrscheinlich von unserem Pech gehört«, fuhr sein alter Kumpel fort. »Es ist wirklich zum Kotzen. Die Maxwell war echt gut, eine absolute Vorzeigeagentin.«
»Ich hab sie im Fernsehen gesehen. Ist wohl jetzt der Sündenbock, stimmt’s? Bin ’ne Art Experte auf dem Gebiet.«
»Du kannst das mit deinem Fall kaum vergleichen. Maxwell hat sich eine furchtbare Fehleinschätzung geleistet. Außerdem war sie Einsatzleiterin und du nur Fußvolk.«
»Ach, erzähl mir doch nichts! Wie oft haben wir draußen vor der Tür gestanden, während der Kerl, auf den wir aufpassen sollten, sich drinnen mit einer Frau amüsiert hat, die nicht seine eigene war! Diese Damen haben wir auch nicht auf Waffen durchsucht, oder? Und ich kann mich auch nicht erinnern, dass jemals einer von uns auf dem Bettvorleger direkt daneben stand.«
»Ist ja auch niemals was Schlimmes passiert.«
»Aber das war nicht unser Verdienst.«
»Okay, ich will mich jetzt nicht weiter darüber auslassen – muss auf meinen Blutdruck achten! Du willst dich also mit Joan in Verbindung setzen?«
»Ja, ich hab sogar das Gefühl, dass ich sie schon sehr bald sehen werde.«
KAPITEL 18
Michelle kehrte zum Fairmount-Hotel zurück, schlüpfte durch das Loch im Zaun und ging ohne weitere Umwege noch einmal ins Büro. King hatte in Zimmer 304 gewohnt. Nach Loretta Baldwins Anspielung war es ratsam, sich in der Nähe umzusehen. Michelle erinnerte sich an die Verbindungstür und überprüfte daher den Gast, der damals Zimmer 302 gebucht hatte.
»Verdammt«, sagte sie, als sie den Namen auf dem Meldeschein las. In Zimmer 302 hatte J. Dillinger genächtigt. Ob damit Joan Dillinger gemeint war? Sie war Dillinger ein paar Mal begegnet. Die Frau hatte im Secret Service eine Karriere gemacht, wie sie zuvor kaum einer ihrer Geschlechtsgenossinnen gelungen war – und dann Knall auf Fall den Dienst quittiert. Michelle erinnerte sich, dass die Dame sogar ihr Respekt eingeflößt hatte, was definitiv nicht oft vorkam. Joan Dillinger ging der Ruf voraus, in Stresssituationen kühler, zäher und draufgängerischer zu reagieren als alle anderen Agenten, männliche und weibliche gleichermaßen. Brennend vor Ehrgeiz, hatte sie den Service verlassen, um im privaten Sicherheitsgewerbe noch einmal ganz groß herauszukommen.
Im Dienst hatte sie jedenfalls zu Michelles Vorbildern gehört.
Und Joan Dillinger sollte die andere Hälfte bei jenem »tierischen« Akt gewesen sein, von dem Loretta Baldwin gesprochen hatte? War die »eiserne Lady«, die Michelle so bewundert hatte, identisch mit jener Frau, deren schwarzes Spitzenhöschen damals von der Deckenlampe baumelte? War Kings Blackout bei der Bewachung Clyde Ritters etwa die Folge schierer körperlicher Erschöpfung nach einer Liebesnacht mit Joan, die so wild gewesen war, dass sogar ihre Reizwäsche fliegen lernte? Michelle war sich ziemlich sicher, dass ihre Vermutung stimmte, denn auf dem Meldeschein war für »J. Dillinger«, genau wie bei King, die Anschrift der Secret-Service-Zentrale in Washington vermerkt.
Michelle steckte die beiden Meldescheine in ihre Handtasche, ging zum Stonewall-Jackson-Saal und sah sich jenen Eingang näher an, vor dem Loretta Baldwin Zeugin der ersten Ermordung eines amerikanischen Präsidentschaftskandidaten nach fast dreißig Jahren geworden war. An der Stelle, wo Loretta damals gestanden hatte, blieb Michelle nun selbst stehen, dann betrat sie den Saal und schloss die Tür. Wieder war es so still, dass sie ihren eigenen Herzschlag hören konnte.
Sobald sie wieder draußen war und der Lobby zustrebte, verschwand das Gefühl. Normale Geräusche kehrten zurück, und ihr hektisch pochendes Herz war nicht mehr zu hören. Sie fragte sich, ob es im Stonewall-Jackson-Saal spuken mochte. Ging
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