Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
oder in der Zeit, als er sich in der Innenstadt aufhielt, einen Anruf bekommen, wäre sein Alibi hieb- und stichfest und jeder Verdacht gegen ihn abwegig.«
»Was uns worauf schließen lässt?«, fragte Parks.
»Dass es den alten Kumpanen von Jennings relativ egal sein dürfte, ob Sean King wegen dieses Mordes verhaftet wird oder nicht. Außerdem gehen nach meiner Erfahrung Verbrecher, die anderen was in die Schuhe schieben wollen, nicht so nachlässig vor. Angenommen, sie haben sich tatsächlich die Mühe gemacht, Seans Pistole zu klauen und ein detailgetreues Double davon herzustellen, dann Jennings mit dem Original zu erschießen und es wieder in Seans Haus zurückzubringen – in diesem Fall hätten sie sicherlich auch den Ort und den Zeitpunkt für den Mord so sorgfältig ausgewählt, dass Sean kein Spielraum für ein Alibi geblieben wäre. Kurzum, es leuchtet mir nicht ein, dass die Sache mit der Waffe so penibel geplant, beim Alibi aber so nachlässig verfahren wurde. Das wäre ein geradezu schizophrenes Verhalten, wie es einem bei Mördern nicht oft begegnet.«
»Nun ja, King hätte das aber auch alles selber arrangieren können, um uns auf eine falsche Spur zu lenken.«
»Mit welchem Motiv? Er hat sich sein Leben hier sehr nett eingerichtet. Warum sollte er all das aufs Spiel setzen?«
»Na schön, ich weiß jetzt, worauf Sie rauswollen. Aber wieso interessieren Sie sich so für diesen Fall?«
»Sean und ich waren mal Kollegen. Sagen wir ’s so: Ich schulde ihm noch was. Suchen Sie also ruhig weiter nach Ihrem Mörder – ich werde mich mal anderswo umsehen.«
»Und wo? Schon eine Idee?«
Joan wandte den Blick ab. »Ideen hat ja wohl jeder«, sagte sie und brach abrupt das Gespräch ab.
Nachdem Parks gegangen war, nahm Joan den Zettel aus ihrer Geldbörse. Sie hatte einen der örtlichen Polizisten dazu gebracht, dass er sie, während King und Polizeichef Williams anderweitig beschäftigt waren, eine Kopie von der Notiz machen ließ, die an Susan Whiteheads Leiche gefunden worden war. Nachdem sie sie noch einmal durchgelesen hatte, entnahm sie ihrer Brieftasche einen anderen Zettel, den sie all die Jahre über aufbewahrt hatte. Vorsichtig entfaltete sie ihn und starrte auf die wenigen Worte, die darauf geschrieben standen.
Diese Notiz hatte Sean, wie sie glaubte, am Morgen jenes verhängnisvollen Tages in ihrem Zimmer im Fairmount-Hotel für sie hinterlassen. Sie hatte nach ihrer turbulenten Liebesnacht ausgeschlafen, während King zum Dienst ging. Beim Aufwachen hatte sie den Zettel gefunden. Er enthielt eine Bitte, und sie hatte diese Bitte erfüllt, auch wenn damit ein berufliches Risiko verbunden war. Aber sie war schon immer eine Draufgängerin gewesen. Als dann der Mord geschah, dachte sie, was für ein aberwitziger, furchtbarer Zufall das gewesen sei. Später hatte sie sich gefragt, worum es Sean an jenem Morgen wirklich gegangen sein mochte. Dafür, dass sie nie nachgefragt und auch sonst kein Wort darüber verloren hatte, gab es einen ganz einfachen Grund: Ihre Karriere wäre schlagartig beendet gewesen.
Die Entwicklung der letzten Tage warf nun ein völlig neues Licht auf die damaligen Ereignisse, und für Joan Dillinger stellte sich die Frage, wie sie damit umgehen sollte.
KAPITEL 32
Als King zu Michelle in ihren Land Cruiser stieg, sah er sich erstaunt um.
»Du hast deinen Wagen gereinigt?«
»Ach, ich habe bloß ein bisschen aufgeräumt«, gab sie nonchalant zurück.
»Michelle, es blitzt hier vor Sauberkeit, und außerdem riecht es gut.«
Ihre Nase kräuselte sich. »Da lagen ein paar alte Bananen rum. Ich weiß gar nicht, wie die hier reingekommen sind.«
»Du hast das doch nicht deshalb getan, weil ich dich so zusammengestaucht habe?«
»Mach keine Witze! Ich hatte bloß… äh, bloß endlich mal Zeit dafür.«
»Wie auch immer, ich weiß es zu schätzen.« Dann fiel ihm etwas ein. »Wo hast du denn den ganzen Kram gelassen? Du warst doch gar nicht zu Hause.«
Jetzt wirkte sie verlegen. »Ich glaube nicht, dass du mein Hotelzimmer sehen willst.«
»Nein, das glaube ich auch nicht.«
In Bowlington trafen sie sich mit Tony Baldwin und sahen sich mit dessen und des örtlichen Sheriffs Genehmigung in Loretta Baldwins Haus um.
»Wovon hat Ihre Mutter gelebt? Bekam sie Rente?«, fragte King, während er die hübsche Einrichtung bewunderte.
»Nein, sie war erst einundsechzig«, sagte Tony.
»Hat sie gearbeitet?« Tony schüttelte den Kopf, während Kings Blick über die
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