Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
gewagteste Vermutung, die man sich vorstellen kann. Trotzdem, es könnte hinhauen. Schnell, Tony, haben Sie eine Schaufel?«
»Eine Schaufel? Wozu?«
»Ich wollte schon immer wissen, warum Hortensien mal rosa, mal blau blühen.«
»Da ist nix Geheimnisvolles dran. Manche Leute glauben, es handele sich um verschiedene Sorten, aber das stimmt nicht unbedingt. Ich meine, man kann zwar rosa und blaue Hortensien kaufen, aber es geht auch anders: Du kannst die rosafarbenen auch in blaue verwandeln, indem du den pH-Wert und damit den Basengehalt des Bodens erhöhst. Umgekehrt geht das auch, nur musst du dann eben den pH-Wert senken, das heißt den Boden saurer machen. Da für die Farbe der Blüten der Aluminiumgehalt entscheidend ist, kann man auch ein spezielles Mittel beigeben, ich glaube, es heißt Aluminiumsulfat. Manche Leute vergraben sogar Eisenspäne, Konservendosen oder rostige Nägel im Boden und verwandeln auf diese Weise rosa Hortensien in blaue.«
»Ich weiß, Tony. Deshalb brauche ich die Schaufel.«
Tony holte das Werkzeug aus der Garage, und King fing an, den Mutterboden rund um die blaue Hortensie abzutragen. Es dauerte nicht lang, und seine Schaufel stieß klirrend an etwas Hartes. Und gleich darauf zog King den Gegenstand aus dem Boden.
»Nette Eisenquelle«, sagte er und hielt die rostige Pistole in die Höhe.
KAPITEL 33
Nachdem sie den armen Tony, dem es regelrecht die Sprache verschlagen hatte, im Garten seiner Mutter allein gelassen hatten, machten King und Michelle Pause in einem kleinen Restaurant.
»Okay«, sagte Michelle, »ich gebe offiziell zu Protokoll, dass ich von deinen Fähigkeiten als Detektiv und Gärtner beeindruckt bin.«
»Glück für uns, dass Stahl einen Anteil Eisen enthält, sonst hätten wir die Waffe nie gefunden.«
»Die Sache mit der Pistole und der Erpressung ist mir jetzt klar – und damit auch das Motiv für Loretta Baldwins Ermordung. Was ich aber immer noch nicht begreife, ist, warum der Mörder ihr das Geld in den Mund gestopft hat.«
King fingerte an seiner Kaffeetasse herum. »Ich hab mal in einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit dem FBI an einem Fall in Los Angeles gearbeitet. Da haben russische Banden in einem Gebiet von etwa zweieinhalb Quadratkilometern von jedem Geschäft Schutzgelder erpresst und außerdem einen betrügerischen Geldverleih betrieben – deshalb wurden wir in die Ermittlungen einbezogen. Ein paar von diesen Leuten standen gegen Bargeld auf unserer Informantenliste, getreu dem Motto, dass man Feuer am besten mit Feuer bekämpft. Eines Tages fanden wir diese Informanten im Kofferraum eines Autos. Die Leichen waren regelrecht durchsiebt von Einschusslöchern, ihre Münder mit Heftklammern verschlossen. Wir zogen die Klammern raus und stellten fest, dass die Münder mit Banknoten voll gestopft waren, vermutlich mit denselben, die wir den Burschen gegeben hatten. Die Botschaft war eindeutig: Wer redet, stirbt und frisst den Judaslohn, der zu seinem Tod geführt hat.«
»Dann wäre das Geld in Lorettas Mund also symbolisch zu verstehen? Ein allerletztes Schweigegeld, sozusagen?«
»So kommt’s mir vor.«
»Moment mal! Ihr Sohn meint, seit einem Jahr ungefähr sei kein Geld mehr gekommen. Der Erpresste war aber immer noch in der Gegend – sonst hätte er Loretta ja kaum umbringen können. Wieso hat er seine Zahlungen eingestellt? Und warum hat Loretta Baldwin sich das bieten lassen und ist am Ende nicht doch noch zur Polizei gegangen?«
»Na ja, der Mordfall Ritter lag ja immerhin schon sieben Jahre zurück. Was hätte sie den Bullen denn erzählen sollen? Dass sie einen Gedächtnisverlust hatte und ihr gerade alles wieder eingefallen wäre? Ach ja, und hier ist übrigens die Pistole…?«
»Kann gut sein, dass sich der Erpresste das auch gedacht und deshalb nicht mehr bezahlt hat. Weil ihre Waffe stumpf geworden war und sie keinen Druck mehr auf ihn ausüben konnte.«
»Wie auch immer. Jedenfalls scheint er erst vor kurzer Zeit herausgefunden zu haben, dass Loretta die Erpresserin war, und hat dann späte Rache genommen.«
Michelle wurde blass und umklammerte plötzlich Kings Arm. »Als ich mit ihr sprach, erzählte sie mir, dass sie sich in dieser Besenkammer versteckt hatte. Dass sie dort jemanden gesehen hat, erwähnte sie allerdings nicht. Glaubst du etwa…?«
King begriff sofort, was sie beunruhigte. »Vielleicht hat euch irgendwer belauscht. Oder sie hat es nach eurem Gespräch auch noch jemand anderem erzählt.«
»Nein,
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