Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
aufgewirbelt wurde, als sein Jeep vom Parkplatz raste. Sylvia nahm den Hut ab und ließ ihr Haar herunterfallen. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt. Montgomery hatte Medikamente gestohlen und sie an die Frau in dem Zimmer verkauft. Sie beschloss, so lange auf dem Parkplatz zu warten, bis die Frau herauskam.
Stunden vergingen. Als es dämmerte, hatte Sylvia mindestens hundert Personen beobachtet, hauptsächlich Männer, die das Gebäude verlassen hatten. Sie wollte gerade aufgeben, als wieder jemand aus dem Haus kam. Es war eine Frau. Sie hatte sich in ein Kopftuch gehüllt und trug eine Sonnenbrille, obwohl es draußen noch ziemlich dunkel war. Ihr Gang wirkte ein wenig unsicher, als sie zu einem Wagen ging, der auf der Hinterseite des Gebäudes stand. Sie stieg ein und fuhr davon. Sylvia folgte ihr nicht, weil die Frau sie zu leicht bemerkt hätte. Aber sie hatte das Auto gesehen.
Sylvia fuhr nach Hause. In dieser Nacht hatte sie einige Antworten erhalten; gleichzeitig aber waren neue, sehr beunruhigende Fragen aufgetaucht.
KAPITEL 49
Der Tag, an dem Robert E. Lee Battle beerdigt werden sollte, begann mit einem klaren blauen Himmel, der sich jedoch bald bezog. Als die Prozession den Friedhof erreicht hatte, fiel leichter, warmer Regen. Die schwarz uniformierte Armee der Trauergäste versammelte sich unter einem riesigen weißen Zelt um das frisch ausgehobene Loch.
King sah viele bekannte, aber auch etliche unbekannte Gesichter. Es hieß, dass sich auf den Privatflugplätzen von Charlottesville und Lynchburg die Learjets drängten, mit denen Freunde der Battles gekommen waren, um dem Patriarchen die letzte Ehre zu erweisen. Doch viele waren vermutlich durch morbide Neugier angelockt worden.
Michelle saß neben King. Sie trug tatsächlich ein Kleid! King verkniff sich jeden Kommentar. Von seiner letzten Stichelei tat ihm immer noch der Arm weh.
Die Battles saßen in der ersten Reihe, Eddie und Savannah zu beiden Seiten ihrer Mutter. Neben Eddie kam Chip Bailey und am Ende der Reihe Dorothea mit verschränkten Armen. Mason stand ein Stück daneben, den Blick auf die verschleierte Remmy gerichtet. Stets der treue Diener , dachte King.
Auf der anderen Seite Kings saß Harry Carrick. Er war so gepflegt wie immer gekleidet, und sein weißes Haar kam vor dem Hintergrund seines schwarzen Anzugs noch besser zur Geltung. Er hatte Michelle mit einem Küsschen auf die Wange und King mit einem festen Händedruck begrüßt, bevor er Platz genommen hatte.
»Ziemlich viele Leute«, flüsterte King ihm zu. Michelle beugte sich herüber, um mithören zu können.
»Bobby und Remmy hatten viele Freunde und Geschäftspartner. Rechnen wir die Neugierigen und Schadenfrohen hinzu, kommt eine beachtliche Menge zusammen.«
»Also kann ich davon ausgehen, dass der Fall Junior Deaver abgeschlossen ist«, sagte King.
»Darauf läuft es praktisch hinaus. Schließlich wäre es sinnlos, einen Toten wegen Einbruchs zu verurteilen.«
»Praktisch, aber…«, sagte King und beobachtete seinen Freund aufmerksam.
»Aber wenn meine Vermutung zutrifft und Junior unschuldig war, würde ich gern den wahren Dieb zur Strecke bringen.«
»Sie möchten, dass wir die Ermittlungen fortsetzen?«
»Ja, Sean. Schließlich geht es auch um seine Familie. Warum sollten seine Kinder in dem Glauben aufwachsen, dass ihr Vater ein Dieb war, wenn es gar nicht stimmt?«
»Jetzt haben wir sogar ein gesteigertes persönliches Interesse, den Fall aufzuklären.«
»Das verstehe ich. Nachdem Junior ermordet wurde…«
»Genau. Was machen Sie nach der Trauerfeier?«
»Ich bin bei den Battles eingeladen«, antwortete Harry.
»Wir auch. Vielleicht können wir uns dort in einer ruhigen Ecke zusammensetzen und unsere weitere Vorgehensweise diskutieren.«
»Ich freue mich schon darauf.« Dann lehnten sie sich zurück und hörten zu, wie der Pfarrer über den Toten sprach, über die Wiederauferstehung und das ewige Leben. Es regnete weiter, wodurch die düstere Stimmung des Nachmittags noch deprimierender wurde.
Als die langatmige Predigt endlich vorbei war, trat der Pfarrer vor, um der Familie sein Beileid auszusprechen. Kings Blick wanderte über die Gruppe hinaus, die sich um das Grab versammelt hatte, und suchte systematisch die Umgebung ab. Er benutzte dieselbe Technik, die er im Secret Service beim Personenschutz angewendet hatte. Damals hatte er nach potenziellen Attentätern gesucht, nun hielt er nach jemandem Ausschau, der bereits zum Mörder geworden
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