Sean King 03 - Im Takt des Todes
Gespräch entgegen. Sean könne von Glück reden, sagte er, dass der Hausbesitzer ihn nicht verklage, weil er dessen Sohn mit einem Baseballschläger angegriffen habe. Ehe der Mann auflegte, fügte er hinzu, dass Sean nicht versuchen solle, sie noch einmal zu kontaktieren.
Sean schaute zu Michelle auf dem Beifahrersitz. Ihr Blick war leer, und das lag nicht allein an den Schmerzmitteln.
»Hör mal, Michelle«, sagte Sean, »wir … äh, wir müssen woanders hin. Ich hatte ganz vergessen, dass mein Freund sein Gästehaus renovieren lässt.«
Michelle reagierte nicht, blickte nur stumm zum Fenster hinaus. Sie schien von nichts und niemandem Notiz zu nehmen.
Sean fuhr zu einem Motel und nahm ein Doppelzimmer. Er hatte Bargeld von der Bank geholt; an seinen Kontostand wollte er lieber gar nicht denken. Zum Abendessen holte Sean sich etwas beim Chinesen, während Michelle wegen ihres geprellten Kiefers und dem frisch implantierten Zahn nur Flüssiges zu sich nehmen konnte.
Sean saß an ihrem Bett, auf dem sie lag, die Beine an den Leib gezogen. »Ich muss deine Verbände wechseln«, sagte er. »Okay?«
Michelle hatte oberflächliche Wunden am Kinn und an der Stirn, die noch immer sehr empfindlich auf Berührungen reagierten, und so zuckte sie zusammen, als Sean die alten Verbände abnahm.
»Tut mir leid.«
»Ach ja?«, sagte sie mit so scharfer Stimme, dass Sean erschrak. Er schaute ihr in die Augen, doch sie hatten bereits wieder den leeren Ausdruck angenommen.
»Wie geht es deinen Rippen?«, fragte er, um das Gespräch in Gang zu halten, doch Michelle drehte sich von ihm weg.
Als er fertig war, fragte er: »Brauchst du sonst noch was?« Keine Antwort. »Michelle, wir müssen darüber reden.«
Als Antwort rollte sie sich wieder auf dem Bett zusammen.
Sean stand auf und ging im Zimmer auf und ab, in der Hand eine Flasche Bier. »Warum hast du dich mit einem Kerl angelegt, der aussieht, als könnte er einen Grizzly zusammenschlagen?«
Schweigen.
Sean unterbrach seine unruhige Wanderung. »Es kommen wieder bessere Zeiten, Michelle. Ich habe ein paar Jobs in Aussicht«, log er. »Na, was sagst du? Fühlst du dich jetzt besser?«
»Hör auf damit, Sean.«
»Womit? Optimistisch zu sein und dir ein bisschen Hoffnung zu machen?«
Ein Grunzen war Michelles einzige Antwort.
»Wenn du noch einmal in so eine Kaschemme gehst und so einen Blödsinn machst, wird irgendein Kerl eine Knarre ziehen und dir ein Loch in den Kopf jagen, und das war’s dann.«
»Gut!«
»Was ist nur mit dir los?«
Michelle stolperte ins Badezimmer und verschloss die Tür. Sean hörte sie würgen.
»Michelle? Was ist? Brauchst du Hilfe?«
»Lass mich in Ruhe, verdammt!«, rief sie.
Sean verließ das Zimmer, setzte sich an den Pool des Motels, ließ die Füße ins warme Wasser baumeln und atmete die chlorhaltige Luft, während er sein Bier trank. Es war ein schöner Abend, und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, war gerade eine knackige Zwanzigjährige in den Pool gesprungen, mit einem Bikini, der so klein war, dass man ihn kaum als Bekleidung bezeichnen konnte. Mit kräftigen Zügen schwamm sie ihre Bahnen. Bei der vierten Bahn hielt sie an und trat Wasser vor Sean, wobei ihre üppigen Brüste auf und ab wippten. »Lust auf ein Wettschwimmen?«
»Wenn es danach geht, was ich bis jetzt von Ihnen gesehen habe, dürfte ich keine Konkurrenz für Sie sein.«
»Da sollten Sie mal sehen, wenn ich richtig loslege. Ich gebe Ihnen gern Unterricht. Übrigens, ich bin Jenny.«
»Danke für das Angebot, Jenny, aber ich muss leider ablehnen.«
Sean stand auf und ging. Hinter sich hörte er Jenny enttäuscht seufzen. »Warum erwische ich jedes Mal die netten schwulen Typen?«
»Verdammt«, murmelte Sean vor sich hin, »und dabei war es ein so schöner Tag.«
Als er ins Zimmer zurückkam, schlief Michelle. Er legte sich auf das andere Bett und schaute sie an.
Zwei weitere Tage vergingen, ohne dass eine Besserung eintrat. Sean traf eine Entscheidung. Was immer Michelle quälte – er hatte nicht die Möglichkeiten, ihr zu helfen. Freundschaft, und wenn sie noch so tief war, konnte keine verletzte Seele heilen. Aber Sean kannte jemanden, der vielleicht helfen konnte.
5.
A m nächsten Morgen rief Sean einen alten Freund in Virginia an, Horatio Barnes, einen Psychiater. Barnes war Mitte fünfzig, trug Pferdeschwanz und einen zotteligen Spitzbart, bevorzugte ausgewaschene Jeans und schwarze T-Shirts und fuhr eine alte Harley. Sein
Weitere Kostenlose Bücher