Sean King 03 - Im Takt des Todes
Raum, der nicht hätte da sein sollen. Als sie das dunkle, wurmzerfressene Holz und die verstaubten, dicken Perserteppiche leid war, ging sie wieder nach draußen und dachte darüber nach, was sie als Nächstes tun sollte.
Es war noch viel zu früh, um zu Viggie zu gehen, und so beschloss Michelle nach langem Hin und Her, zu Horatio zu fahren.
»Ich tue das nur für Sean«, sagte sie, als sie sich in das gleiche Zimmer setzten, in dem Horatio sich früher am Tag mit Viggie getroffen hatte.
»Ich bin froh, dass Sie hier sind, egal aus welchem Grund. Sie haben in der Anstalt einen ziemlichen Eindruck hinterlassen. Schließlich haben Sie einen Verbrecher gefasst und einer Frau das Leben gerettet. Das muss ein tolles Gefühl für Sie sein.«
»Ja, ich hab mich toll gefühlt – bis Sean mir sagte, dass Sie mit mir sprechen wollen.«
»Ich versuche nur, meinen Job zu machen, so gut ich kann.«
»Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Ich habe an den Sitzungen teilgenommen, habe meine Übungen gemacht, habe Ihre beleidigenden Fragen beantwortet, habe meine Seele ausgeschüttet, einen Drogendealer gefasst und einer Frau das Leben gerettet, wie Sie bereits sagten. Daraus können wir wohl schließen, dass ich geheilt bin. Können wir jetzt also bitte aufhören, Seans Geld zu verschwenden? Ich will nämlich zurück und meinen Beruf ausüben. Warum fahren Sie nicht einfach zurück und kümmern sich um Ihren Kram?« Sie stand auf.
Die plötzliche Schärfe in Horatios Stimme erschreckte Michelle. »Sie sind nicht geheilt. Sie sind absolut und vollkommen durchgeknallt, Lady. Es wird immer weiter bergab gehen, und irgendwann kommt dann der Tag, da Sie in Ausübung Ihres Berufs derart durchdrehen, dass es Sie und Sean das Leben kostet. Wenn sie das cool finden, dann verschwinden Sie. Steigen Sie in Ihren Mülleimer, den Sie Auto nennen, und rauschen Sie damit ab in den Sonnenuntergang. Aber glauben Sie ja nicht, Sie wären geheilt, denn das ist Schwachsinn. Wenn jemand wirklich will , dass es ihm besser geht, arbeitet er daran. Er lügt nicht sich selbst und anderen etwas vor. Er sitzt nicht auf seinem Hintern, versinkt immer tiefer in seinem jämmerlichen Dasein und lügt sich ständig in die Tasche, dass alles in Butter ist. Ihr dummes Gequatsche hängt mir langsam zum Hals raus!«
Michelle fühlte, wie Wut in ihr hochkochte. Sie ballte die Fäuste und spannte die Muskeln zum Schlag.
Mit ruhiger Stimme fuhr Horatio fort: »Sehen Sie, wie viel Wut Sie in sich haben? Genau in diesem Augenblick? Wie schnell diese Wut sich aufstaut? Und das nur, weil ich Ihnen ein paar deutliche Worte gesagt habe, die noch dazu der Wahrheit entsprechen. Aber Sie hätten beinahe die Selbstbeherrschung verloren. Sie wollen mich umbringen, stimmt’s? Das sehe ich Ihnen an. Genau so wollten Sie auch den armen Kerl in der Bar umbringen. Der Unterschied ist nur, dass Sie sich in der Bar zuerst noch haben besaufen müssen, bis Ihre Wut so übermächtig wurde, dass Sie sie an jemandem auslassen mussten. Diesmal sind Sie stocknüchtern, und trotzdem reicht Ihre Wut, dass Sie mir den Kopf abreißen wollen. Das meine ich mit ›es geht bergab‹. Was kommt als Nächstes? Wird die Wut das nächste Mal schon hochkochen, wenn ein Fremder Sie auf der Straße falsch ansieht? Oder wenn jemand in der U-Bahn versehentlich gegen Sie stößt? Vielleicht reicht ja auch schon der Geruch von jemandem, dass diese innere Wut aus Ihnen hervorbricht, Michelle. Sie müssen sich dem stellen. Sofort.«
»Und wenn ich es nicht tue?«, fragte sie mit leerer Stimme.
»Dann haben Sie verloren und die Dämonen gewonnen. Es ist Ihre Entscheidung.«
Langsam, ganz langsam setzte Michelle sich wieder.
Horatio beobachtete sie mit festem Blick. Sie starrte zu Boden, während ihre Muskeln vom Hals abwärts zu zittern begannen.
Als sie schließlich wieder sprach, bebte auch ihre Stimme. »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«
»Ich will bloß reden, Michelle. Ich möchte ein paar Fragen stellen und mir Ihre Antworten anhören, aber vor allem möchte ich mit Ihnen reden. Über Sie. Mehr nicht. Glauben Sie, das stehen Sie durch?«
Eine volle Minute verging, während der Michelle sich an die Stuhllehne klammerte. »Okay«, sagte sie schließlich so leise, dass man sie kaum hören konnte.
»Ich bin zu dem Haus gefahren, in dem Sie als Sechsjährige gewohnt haben«, sagte Horatio. »Sean hat Ihnen das schon erzählt.«
»Ja.«
»Ich habe eine Frau mit Namen Hazel Rose
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