Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
June in nüchternem Tonfall. »Ich bin nur mit Cedric Gassi gegangen. Cedric ist mein Hund. Ein Pekinese. Ein kleiner Hund. Früher hatte ich große Hunde, aber mit denen komme ich nicht mehr zurecht. Cedric er ist ein guter Hund. Cedric hieß auch mein älterer Bruder, aber der ist tot. Ich habe ihn mehr gemocht als meine anderen Geschwister, deshalb habe ich meinen Hund nach ihm benannt.«
Michelle räusperte sich vernehmlich, und Sean verstärkte den Druck auf ihr Bein.
Bobby sagte: »Ich habe meiner Schwester gesagt, dass Sie nur mit ihr sprechen wollen.«
»Ich mag die Polizei nicht.« Die alte Frau tätschelte Bobby die Hand. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß natürlich, dass wir die Polizei brauchen, aber wenn sie in der Nähe ist, heißt das für gewöhnlich, dass irgendwas Schlimmes passiert ist.«
»Wie zum Beispiel der Mord an meiner Mutter?«, sagte Michelle und schaute June streng an.
Die kleine Frau drehte sich endlich zu ihr um. »Das tut mir leid für Sie, Kindchen. Ich selbst habe auch schon zwei Kinder und einen Enkel verloren, allerdings durch Krankheit, nicht durch ein Verbrechen.«
»Haben Sie an dem Abend etwas gesehen?«, fragte Sean.
»Ja. Einen Mann.«
Sean und Michelle beugten sich vor.
»Können Sie ihn beschreiben?«, fragte Michelle.
»Es war dunkel, und meine Augen sind nicht mehr so gut, wie sie mal waren, aber ich kann Ihnen sagen, dass er groß und ziemlich schlank war. Er trug keinen Mantel, nur Hose und einen Sweater.«
»Alt? Jung?«
»Schon älter. Ich glaube, er hatte graues Haar, sicher bin ich mir da aber nicht. Ich weiß noch, dass es warm war, und ich habe mich gewundert, warum er einen Sweater trug.«
»Nebenan wurde eine Poolparty gefeiert«, bemerkte Sean.
»Darüber weiß ich nichts«, sagte June, »aber an der Straße standen eine Menge Autos.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Ich gehe immer so um acht Uhr los und bin dann bis zwanzig nach unterwegs, es sei denn, Cedric lässt was fallen, und ich muss es aufheben ... das Fallengelassene meine ich.«
»Also war es acht Uhr zwanzig«, sagte Sean.
Er, Michelle und Bobby schauten einander an.
»Der Pathologe hat erklärt, der Tod sei zwischen acht und neun Uhr abends eingetreten«, erinnerte Bobby.
»Womit unser Mann genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen wäre«, sagte Michelle.
»Ich verstehe nicht ...« June schaute Michelle fragend an.
»Sie meint, er hätte durchaus die Gelegenheit gehabt«, erklärte Sean. »Der Mann war also da. Was genau hat er getan?«
»Er ist über die Straße gegangen, weg von mir. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er mich überhaupt bemerkt hat. Auf der Straße war es ziemlich dunkel. Ich hatte zwar eine Taschenlampe dabei, hab sie aber nicht rausgeholt. Der Mond hat geschienen, und Cedric und ich gehen nur langsam. Wir leiden beide unter Arthritis.«
»Der Mann hat sich also von Ihnen entfernt. Haben Sie sonst noch etwas gesehen?«, hakte Michelle nach. »Zum Beispiel, woher er gekommen ist?«
»Es sah so aus, als wäre er zwischen zwei Häusern herausgekommen. Dem Haus mit den ganzen Autos davor und dem rechts daneben.«
»Dem Haus meiner Eltern«, sagte Michelle.
»Ich nehme es an, obwohl ich sie nicht gekannt habe.«
»Was können Sie uns sonst noch sagen?«, fragte Sean.
»Nun, da war diese seltsame Sache ...«, begann June.
»Seltsam?«, meldete Bobby sich zu Wort.
»Ja. Ich war zwar auf der anderen Straßenseite, aber ich konnte es trotzdem sehen.«
»Was?«, fragte Michelle, und ein leichtes Zittern schlich sich in ihre Stimme.
»Ach ja ... das hatte ich ja noch gar nicht gesagt. Die Blitze.«
»Die Blitze?«, fragten Sean und Michelle im Chor.
»Ja. Der Mann ging die Straße hinunter und blieb bei jedem Auto stehen. Dann hat er die Hand gehoben, und es hat geblitzt.«
»Hat er das vorne oder hinten an den Autos gemacht?«, fragte Michelle.
»Hinten, und jedes Mal hat er sich ein wenig gebückt. Wie ich schon sagte, der Mann war ziemlich groß.«
Michelle schaute zu Sean. »Er hat die Nummernschilder fotografiert.«
»Das war ein Kamerablitz«, fügte Sean hinzu, und Bobby nickte.
»Und das hat er bei jedem Wagen gemacht?«, hakte Michelle nach.
June nickte. »Es sah so aus.«
»Warum sollte unser mutmaßlicher Täter Fotos machen?«, überlegte Bobby laut.
Ein Strahlen erschien auf Junes Gesicht. »Der ›mutmaßliche Täter‹? Hach, das hört sich ja an wie bei ›Law and Order‹! Ich liebe diese Serie, besonders Jerry
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