Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
und verkündete, dass er mit Wirkung des folgenden Tages, zwölf Uhr mittags, von seinem Amt zurücktrete.
Und das tat er dann auch.
89.
E inen Monat nach Cox' Rücktritt besuchten Sean und Michelle noch einmal Atlee.
Tippi Quarry war neben ihrer Mutter auf dem Friedhof einer Kirche in der Nähe beigesetzt worden. Aufgrund der Beweise, die Sean und Michelle vorgelegt hatten, war Quarrys Besitz an Ruth Ann Macon übergegangen, auch wenn sie Quarry nur um knapp eine Stunde überlebt hatte.
Und das hieß, dass Gabriel, ihr einziger lebender Nachkomme, nun der Erbe von Atlee war. Mit Hilfe eines ortsansässigen Anwalts kümmerte Sean sich um die rechtliche Seite dieses Erbes. Sie planten, zweihundert Morgen an einen Bauunternehmer zu verkaufen, der bereit war, einen ausreichend hohen Preis zu zahlen, um Gabriel durch das College zu bringen. Er würde sogar noch eine beachtliche Summe übrig behalten.
Nach ihrem Meeting mit dem Anwalt und den Vertretern des Bauunternehmers gingen sie zu ihrem Mietwagen zurück, als eine Stimme von hinten rief:
»Hallo?«
Sean und Michelle drehten sich um und sahen einen Mann mit brauner Haut, schulterlangem weißem Haar, einem breitkrempigen Strohhut und einem faltigen Gesicht. Er stand dort, wo einst die Veranda gewesen war.
»Hallo«, sagte Sean, und sie gingen zu dem Mann.
»Sind Sie Fred?«, fragte Michelle.
Fred nickte und trat auf sie zu.
»Ich bin Michelle, und das ist mein Partner, Sean.«
Sie schüttelten sich die Hände und ließen den Blick dann über die ehemalige Plantage schweifen.
»Haben Sie Sam gekannt?«, fragte Fred.
»Flüchtig. Ich nehme an, Sie kannten ihn besser.«
»Er war ein guter Mann. Er hat mich auf seinem Land leben lassen. Er hat mir Tabak und Jim Beam gekauft. Ich werde ihn vermissen. Ich werde sie alle vermissen. Ich nehme an, jetzt, wo Gabriel nicht mehr hier wohnt, bin ich der Letzte hier. Ich hatte noch zwei Ureinwohner bei mir, aber die sind weitergezogen.«
»Coushatta?«, fragte Michelle.
»Ja. Das verlorene Volk. Woher wissen Sie das?«
»Geraten.«
»Wie ich höre, wird der Besitz verkauft. Haben Sie damit zu tun? Ich habe gesehen, wie Sie sich mit ein paar Leuten getroffen haben.«
»Das stimmt. Aber Gabriel hat uns von Ihnen erzählt, und wir haben dafür gesorgt, dass Sie und Ihr Trailer hier immer einen Platz haben werden.«
Fred lächelte grimmig. »Ich bezweifle, dass das noch groß etwas zählt.«
»Warum?«
Er hustete heftig. »Der Arzt sagt, dass ich nur noch ein paar Monate habe. Die Lunge.«
»Tut mir leid«, sagte Sean.
»Das muss es nicht. Ich bin alt. Da stirbt man.« Er legte Michelle eine kleine Hand auf den Ärmel. »Möchten Sie auf ein Bier zu mir in den Trailer kommen? Er ist nicht weit von hier. Und mein Trailer hat noch nie etwas so Schönes gesehen wie diese Lady hier.«
Michelle lächelte. »So ein Angebot kann ein Mädchen nicht ablehnen.«
Sie saßen in dem kleinen Trailer, tranken jeder eine Flasche Bier, und Fred erzählte ihnen Geschichten von Sam und Gabriel und dem Leben in Atlee.
»Wissen Sie, ich habe immer schon gewusst, dass Sam unglücklich ist. Er hat versucht, es zu verbergen, aber er war ein sehr unglücklicher Mann.«
Sean trank einen Schluck Bier und nickte. »Da haben Sie wohl recht.«
»Sam hatte großen Respekt vor unserer Kultur. Er hat mir viele Fragen darüber gestellt. Über unsere Symbole und Rituale.«
Sean setzte sich auf. »Fred, ich habe mal ein Zeichen auf Sams Arm gesehen.« Sean zeichnete es in den Staub auf einem wackligen Tisch und erklärte: »Es waren vier Linien. Eine lange mit zwei im rechten Winkel an jedem Ende und einer kürzeren in der Mitte.«
Fred nickte bereits, bevor Sean fertig gezeichnet hatte. »Davon habe ich ihm erzählt. In den indianischen Kulturen ist es das Symbol für spirituellen Schutz. Das ist zwar nicht Coushatta, findet sich aber in vielen anderen Indianersprachen. In welchen, weiß ich nicht genau. Jedenfalls ... Die linke Linie bedeutet winyan oder Frau, die rechte wicasa oder Mann, und die lange Linie in der Mitte steht für wakanyeza oder unschuldige Kinder.«
»Aber was bedeutet es genau?«, fragte Sean.
»Es bedeutet, dass es die Pflicht der Eltern ist, ihre Kinder zu beschützen.«
Sean schaute zu Michelle. »Danke, Fred«, sagte er. »Das erklärt vieles.«
Auf der Fahrt zurück zum Flughafen fragte Michelle: »Wie kommt es eigentlich, dass Menschen wie Jane und Dan Cox so weit gehen, wie sie es getan haben?«
»Weil
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