Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
du recht. Hast du in letzter Zeit mit deiner Schwester gesprochen?«
Tuck furchte die Stirn. »Nicht allzu viel. Dan wollte Willa auf eine kleine Tour bei seiner Wahlkampagne mitnehmen. Aber ...«
»Aber du hast dir gedacht, das sei ein wenig zu ausbeuterisch?«, sagte Michelle.
»So was in der Art, ja.«
»Die Kinder brauchen dich jetzt, Tuck«, sagte Sean. »Du solltest deinen Partner, David Hilal, eine Zeit lang die Firma leiten lassen.« Er hielt kurz inne. »Aber halte dich von seiner Frau fern.«
Bevor ein überraschter Tuck etwas darauf erwidern konnte, legte Sean ihm die Hand auf die Schulter und fügte hinzu: »Und solltest du auch nur in die Nähe von Cassandra Mallory kommen, schneide ich dir die Eier ab, du verdammter Hurensohn.«
Tuck lachte auf, bevor ihm klar wurde, dass Sean es todernst meinte.
Als sie später zu ihrem Wagen gingen, kam Willa zu ihnen gelaufen. Sie reichte ihnen drei Umschläge.
»Was ist das?«, fragte Michelle.
»Dankbriefe«, antwortete Willa. »Für alles, was Sie für mich getan haben.«
»Liebes, das musstest du doch nicht tun.«
»Meine Mom hat immer gesagt, man müsse Dankbriefe schreiben. Außerdem wollte ich es.«
Gabriel hielt seinen Umschlag fest, als wäre er das wertvollste Geschenk, das er je bekommen hatte. »Das ist nett von dir, Willa. Danke.«
Willa schaute mit großen Augen zu ihnen auf. »Ich hasse Mr. Sam für das, was er meiner Mom angetan hat.«
Gabriel senkte sofort den Blick und wich einen Schritt zurück.
Michelle sagte: »Ich weiß, Süße. Ich glaube zwar nicht, dass er das beabsichtigt hat, aber es war trotzdem seine Schuld.«
»Aber kurz bevor er mich freigelassen hat, hat er mir gesagt, wenn man jemals lieben will, muss man auch bereit sein zu hassen. Ich nehme an, das heißt, wenn jemand einem Menschen wehtut, den er liebt, dann hasst er diesen Menschen. Das ist nur natürlich.«
»Da hast du wohl recht«, sagte Sean ein wenig nervös. Er wusste nicht, worauf das hinauslief.
»Ich glaube, Mr. Sam hat seine Tochter geliebt.«
»Das glaube ich auch«, erwiderte Michelle leise und rieb sich das linke Auge.
»Ja, das hat er«, sagte Gabriel. »Das steht fest.«
»Und weil jemand ihr wehgetan hat, hat er sie gehasst.«
»Das stimmt vermutlich«, sagte Sean.
»Aber dann hat er gesagt, man müsse den Hass auch wieder loslassen, sonst würde einen das innerlich zerreißen, und man könne nicht mehr lieben.« Willa schaute zu Gabriel, als sie das sagte. Die beiden Kinder blickten einander lange in die Augen.
»Ich glaube, Mr. Sam hatte recht, Willa. Das gilt für uns beide.« Eine Träne fiel auf Gabriels neues Hemd, und auch Willa rannen Tränen über die Wangen.
Michelle drehte sich weg, und Sean atmete durch, als Willa sie mit großen, traurigen Augen anschaute.
»Deshalb werde ich ihn jetzt nicht mehr hassen«, sagte das kleine Mädchen.
Michelle stieß ein Schluchzen aus und trat einen Schritt zurück. Sie versuchte sich hinter Sean zu verstecken, der ebenfalls Mühe hatte, die Tränen zurückzuhalten.
»Okay, Willa«, sagte Sean mit heiserer Stimme. »Das ist vermutlich eine gute Idee.«
Willa umarmte alle drei und lief dann wieder ins Haus.
Sean, Michelle und Gabriel standen eine Weile einfach nur da. Schließlich sagte Gabriel: »Sie ist eine wirklich gute Freundin.«
»Ja«, pflichtete Michelle ihm bei. »Das ist sie.«
***
Am Wahltag wurde Dan Cox, gestärkt durch seinen Heldenmut und der dramatischen Rückkehr seiner geliebten Nichte, zum zweiten Mal ins Amt gewählt. Sein Vorsprung war der größte, den es bei einer Präsidentschaftswahl je gegeben hatte.
Zwei Monate nach der Amtseinführung veröffentlichte Martin Determann, der Tag und Nacht an der Story seines Lebens gearbeitet hatte, einen neunseitigen Exklusivartikel in der Washington Post. Auf der Grundlage von Quarrys langjährigen Ermittlungen hatte Determann ein professionelles Stück investigativen Journalismus verfasst, das von soliden Beweisen untermauert war. Tatsächlich war seine Story so gut recherchiert und belegt, dass sie auf der ganzen Welt aufgriffen wurde. Weitere Recherchen von anderer Seite brachten noch weit mehr Geheimnisse aus Dan Cox' Vergangenheit ans Tageslicht.
Determann wurde für den Pulitzer-Preis nominiert.
Das Ergebnis war eine wahre Flutwelle der Wut gegen Dan und Jane Cox. Der Volkszorn war so groß, dass ein gedemütigter Cox sich an einem düsteren Apriltag in einer Rede aus dem Oval Office an das amerikanische Volk wandte
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