Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
verletzt. Wir haben Gewebe und Blut unter ihren Fingernägeln gefunden. Sie muss ihn ziemlich böse erwischt haben. Das hat seine Laune bestimmt nicht gebessert.«
»Bist du sicher, dass es ein Mann war?«, fragte Sean, was ihm ein Stirnrunzeln Michelles einbrachte.
»Wir haben nicht nur Blut und Gewebe gefunden, auch Bartstoppeln.«
»Ich wollte nur sichergehen«, sagte Sean zu seiner Partnerin.
»Wenn also die linke Halsschlagader durchtrennt worden ist und der Angreifer von hinten kam, ist er wahrscheinlich Rechtshänder«, sagte Michelle.
»Stimmt.« Magoulas griff nach einer kleinen Plastikflasche. Darin befanden sich mehrere Fasern eines schwarzen Materials.
»Das haben wir unter dem rechten Daumennagel und dem linken Zeigefinger gefunden, und noch eine weitere im Haar.«
Michelle kniff die Augen zusammen, um die Substanz besser sehen zu können. »Sieht wie Nylon aus.«
»Von einer Maske?«, fragte Sean.
»Der Mann, den ich gesehen habe, hat eine schwarze Maske getragen«, sagte Michelle. »Pam greift also nach hinten und kratzt den Mann im Gesicht. Dabei bekommt sie das Nylon unter die Fingernägel.«
»Haben Sie sonst noch etwas gesehen?«, fragte Magoulas.
»Nein. Der Kerl hat mit einer Maschinenpistole auf mich geschossen. Fast hätte er mich zersägt. Ich hielt es für klüger, am Leben zu bleiben, als mir den Schützen näher anzuschauen, um ihn später identifizieren zu können.«
Magoulas grinste. »Kann ich verstehen.«
»Gibt es neue Hinweise, was die Buchstaben auf Pams Armen angeht?«, fragte Sean und deutete auf die Leiche. Inzwischen waren die Schriftzeichen aufgrund der zunehmenden Verfärbung der Haut kaum noch zu lesen. Das tote Fleisch schien die Tinte förmlich zu verschlucken. Die Buchstaben sahen jetzt nicht mehr wie Zeichen aus, eher wie eine Hautkrankheit.
»Ich bin Pathologin, keine Sprachwissenschaftlerin. Es ist schwarze Tinte, vermutlich von einem breiten Textmarker. Blockbuchstaben. Meiner Meinung nach ist die Handschrift nicht besonders gut. Ich spreche fließend Spanisch, und Spanisch ist das nicht, und auch keine andere romanische Sprache. Chinesisch oder Russisch ist es offensichtlich auch nicht.«
»Eine afrikanische Stammessprache vielleicht?«, schlug Sean vor.
»Wie denn? Es sind lateinischen Buchstaben«, sagte Michelle. »Vielleicht ist es bloß irgendwelcher Unsinn, um uns auf eine falsche Fährte zu führen.«
»Okay. Sonst noch was Interessantes?«, fragte Sean.
»Ja, die Frau hat wirklich rote Haare. Ich habe schon eine Menge Rotschopfe auf dem Tisch gehabt, aber die hier schießt den Vogel ab. Fast hätte ich bei der Autopsie eine Sonnenbrille gebraucht.«
»Warum ist das für die Ermittlungen relevant?«, fragte Michelle.
»Er hat nicht nach relevant gefragt, sondern nach interessant.« Magoulas grinste. »He, selbst Gerichtsmediziner brauchen von Zeit zu Zeit ein bisschen Aufheiterung. Meist ist es hier ziemlich deprimierend.«
»Okay«, sagte Sean. »Dann will ich mal mitspielen. Sonst noch was Relevantes?«
»Die Frau hatte Kinder.«
»Das wissen wir.«
»Zwei Kaiserschnitte.« Magoulas deutete auf die Operationsnarben. Sie sahen wie ausgeblichene Reißverschlüsse aus.
»Und die dritte Geburt vaginal«, fügte Sean hinzu.
»Unmöglich«, sagte Magoulas.
»Wieso?«, erwiderte Sean.
»Wie sich bei der ersten Untersuchung herausgestellt hat, ist ihr Becken ungewöhnlich geformt und der Geburtskanal anormal eng. Röntgenaufnahmen haben diesen Eindruck bestätigt. Bei der Autopsie war dann zu sehen, dass ihr Becken verformt ist. Vermutlich ist sie schon damit geboren worden. Zusammengefasst heißt das, kein Gynäkologe hätte dieser Frau eine vaginale Geburt erlaubt, es sei denn, er wollte wegen eines ärztlichen Kunstfehlers verklagt werden. Viel zu riskant. Sie konnte Kinder nur per Kaiserschnitt bekommen.«
Magoulas schaute zu Sean und Michelle, die beide auf Pam Duttons Bauch starrten, als stünden dort die Antworten.
»Und? Ist das relevant?« Magoulas blickte sie neugierig an.
Sean nahm den Blick von der Toten. »Man könnte sagen, es ist interessant.«
18.
E ine Stunde später fuhren sie auf den Parkplatz eines zweistöckigen Gebäudes in einem Bürokomplex in Loudon County.
»Woher weißt du, wo er arbeitet?«, fragte Michelle.
»Ich bin ein Freund der Familie.« Sean hielt kurz inne. »Und ich habe eine Visitenkarte aus Tucks Schlafzimmer mitgehen lassen.«
»Eines der Kinder ist also nicht von Pam. Aber welches?«
»Pam
Weitere Kostenlose Bücher