Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Elizabeth war die intelligente, lebhafte und entschlussfreudige Protagonistin des Romans. Doch nachdem Tippi an diesen Ort gekommen war, hatte Quarry seine Einschätzung überdacht und war zu dem Schluss gekommen, dass Tippi mehr der ältesten Tochter ähnelte, Jane Bennet. Süß, aber schüchtern, sensibel, aber nicht so klug wie Elizabeth. Ihre auffallendste Eigenschaft war, stets das Gute im Menschen zu sehen. Im Roman hatte Jane dadurch ihr Glück gefunden; im echten Leben hatte es für Tippi jedoch zu einer Katastrophe geführt.
Eine Stunde später stand Quarry wieder auf und sagte, was er immer sagte: »Schlaf gut, Liebling. Daddy kommt bald wieder. Ich liebe dich, Baby.«
Quarry fuhr zur Atlee-Plantage zurück. Als er sich mit seinem Gin auf die Couch legte, sah er noch einmal das Bild der jungen Tippi vor seinem geistigen Auge, wie sie ihren Daddy fröhlich anlächelte.
17.
D er Flug der United Airlines, den Tuck Dutton genommen hatte, war nicht verspätet gewesen. Er war sogar zwanzig Minuten zu früh angekommen.
»Also hatte er mindestens fünfzig Minuten frei, nicht nur dreißig«, sagte Michelle. »Vielleicht sogar eine Stunde.«
Sie saßen am nächsten Morgen bei einer Tasse Kaffee in einem Café in Reston, nicht weit von ihrem Büro. Um die Presse loszuwerden, hatte Sean eine unverbindliche Erklärung abgegeben, doch die hatte gereicht, um ihnen ein wenig Raum zum Atmen zu verschaffen. Trotzdem waren sie nicht wieder ins Büro zurückgefahren, sondern in einem Hotel geblieben - für den Fall, dass die Reporter doch wieder die Lust überkommen sollte, ihnen nachzustellen.
»Stimmt.«
»Glaubst du, er hat mit der Sache zu tun?«
»Falls ja, warum hat er sich dann nicht rausgehalten? Warum ist er zurückgekommen, um sich den Schädel einschlagen zu lassen?«
»Um keinen Verdacht zu erregen.«
»Und sein Motiv?«
»Männer töten ihre Frauen mit erstaunlicher Regelmäßigkeit«, sagte Michelle. »Das reicht mir als Beweggrund, nie vor den Traualtar zu treten.«
»Und Willa?«
Michelle zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gehört das zum Plan. Er hat Willa gekidnappt, aber wir werden sie irgendwo putzmunter auffinden.«
»So was würde vermutlich eine Menge Geld kosten. Es muss Aufzeichnungen darüber geben.«
»Ja. Wäre schön, wenn wir einen Blick in Tucks Konten werfen könnten.«
»Ich weiß, wo sein Büro ist.«
»Gut. Gehen wir direkt hin?«, fragte Michelle.
»Sobald wir mit der Pathologin geredet haben«, antwortete Sean. »Ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat gerade die Autopsie beendet.«
»Du kennst sie also doch.«
»Ich bin nun mal allseits beliebt.«
»Genau das macht mir Angst.«
Lori Magoulas war fünfundvierzig, klein und stämmig. Ihr hellblondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden.
Nachdem Sean Michelle vorgestellt hatte, sagte Magoulas: »Es hat mich überrascht, von dir zu hören, Sean. Ich dachte, du wärst an deinem See verschollen.«
»Washington zieht einen immer wieder unwiderstehlich an, Lori.«
Lori schaute skeptisch drein. »Ach ja? Ich zumindest kann es nicht erwarten, hier rauszukommen und meinen See zu finden.«
Sie führte die beiden einen gefliesten Gang hinunter, wo andere Leute in weiten Krankenhauskitteln sich über Tote beugten. Vor einem Tisch aus rostfreiem Stahl blieben sie stehen. Auf dem Tisch lag Pam Dutton. Ihr Körper war inzwischen nicht nur vom Schnitt durch die Kehle entstellt, sondern auch durch den typischen Y-Schnitt auf der Brust, wie Pathologen ihn machten.
»Was hast du gefunden?«, fragte Sean.
»Sie war bei guter Gesundheit. Vermutlich hätte sie ein langes Leben vor sich gehabt, wäre das da nicht gewesen«, antwortete die Ärztin und deutete auf den aufgeschlitzten Hals.
»Was ist mit der Blutmenge?«
Magoulas tippte auf einem Laptop und studierte die Daten auf dem Bildschirm. »Soweit ich es herausfinden konnte - und die Menge eingerechnet, die auf dem Teppich und auf ihren Kleidern verblieben ist -, fehlt ihr gut ein halber Liter.«
»Dann haben sie das Blut tatsächlich mitgenommen.«
»Der Schnitt hat die linke Halsschlagader glatt durchtrennt. Sie muss binnen Minuten ausgeblutet sein.«
»Wie ging das vonstatten?«, fragte Michelle. »Was glauben Sie?«
»Dem Winkel des Schnitts und den Spuren unter den Fingernägeln nach zu urteilen, würde ich sagen, man hat sie von hinten gepackt und ihr den Hals durchgeschnitten. Vermutlich hat sie nach hinten gegriffen und den Angreifer im Gesicht
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