Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
hätten sie fast nicht mehr herunterbekommen. Die meisten Kinder hätten eine Heidenangst gehabt.«
Langsam legte sie das Foto beiseite.
»Sie ist ein tapferes Mädchen«, sagte Sean leise.
»Ja, sie ist tapfer und klug«, erwiderte Jane, »aber sie ist immer noch ein kleines Mädchen.«
»Hat das FBI irgendeine Idee, was das Motiv betrifft?«, fragte Michelle.
»Soviel ich weiß, nein.«
Sie schaute zu Betack, der nur den Kopf schüttelte.
»Wir haben mit Tuck gesprochen und waren in seinem Büro.«
»Und? Haben Sie etwas gefunden?«
Sean ruckte verlegen auf seinem Stuhl und schaute dann nervös zu Betack. »Das ist jetzt vielleicht ein bisschen zu persönlich.«
Betack drehte sich zur First Lady um. »Ich kann ruhig gehen, Mrs. Cox.«
Jane dachte kurz nach. »Also schön«, sagte sie schließlich. »Danke, Agent Betack. Der Präsident und ich möchten sofort über jede neue Entwicklung informiert werden.«
Nachdem Betack gegangen war, fragte sie: »Was meinst du mit persönlich, Sean?« Nun, da sie alleine waren, wechselte Jane Cox zum »Du«. Leute wie Betack mussten nicht wissen, wie nahe Jane und Sean sich standen.
»Hat Pam dir je von Problemen in ihrer Ehe erzählt?«
»Warum willst du das wissen?«, fragte Jane.
»Ich will nur jede Möglichkeit in Betracht ziehen«, erklärte Sean. »Also, war da was?«
Jane lehnte sich zurück und legte die Finger zusammen, wobei sie bedächtig nickte. »Es war während der Party in Camp David. Wir haben darüber gesprochen, dass Tuck nicht da war. Dass er geschäftlich unterwegs war. Es war eigentlich nichts, aber ...«
»Aber was?«
»Ich hatte den Eindruck, sie wollte mir etwas sagen, aber das hat sie nicht. Ich habe eine beiläufige Bemerkung gemacht von wegen, Tuck sei nun mal Tuck, und dass er am nächsten Tag wieder da sein würde.« Sie schaute zwischen Sean und Michelle hindurch. »Was ist denn?«, fragte sie.
Die beiden hatten sich vorgebeugt. »Tuck hätte erst am Tag nach der Entführung zurückkommen sollen?«, fragte Sean.
Jane sah ihn verunsichert an. »Ja. Ich glaube zumindest, dass sie das gesagt hat. Aber dann war er da, als es passierte.« Jane beugte sich ebenfalls vor. »Was ist los?«
Sean schaute zu Michelle. »Tuck könnte eine Affäre haben.«
Jane stand auf. »Was?«
»Hast du nichts davon gewusst?«
»Natürlich nicht, denn es stimmt nicht. Mein Bruder würde so etwas niemals tun. Was hast du für Beweise?«
»Genug, um eine weitere Untersuchung zu rechtfertigen.«
Jane setzte sich wieder. »Das ... Das ist unglaublich.« Sie hob den Blick. »Wenn ihr glaubt, dass er eine Affäre gehabt hat, wollt ihr damit doch wohl nicht sagen, dass ...«
»Die Frage kann ich nicht beantworten, Jane. Jedenfalls jetzt noch nicht. Wir sind erst seit Kurzem an diesem Fall und tun, was wir können.«
»Das Wichtigste ist, Willa gesund nach Hause zu bringen«, fügte Michelle hinzu.
»Natürlich.« Jane legte zitternd die Hand auf die Stirn. »Deshalb habe ich euch ja um Hilfe gebeten.«
Sean fiel es nicht schwer, ihre Gedanken zu lesen. »Wenn man eine Ermittlung aufnimmt, weiß man nie, wohin sie führt. Manchmal schmerzt die Wahrheit, Jane. Bist du darauf vorbereitet?«
Die First Lady blickte ihn kalt an.
»An diesem Punkt meines Lebens kann mich nichts mehr überraschen«, sagte sie. »Seht zu, dass ihr Willa findet. Was dann passiert, werden wir sehen.«
Alle drei drehten sich um, als sich plötzlich die Tür öffnete. Sean und Michelle sprangen instinktiv auf, als Präsident Cox den Raum betrat, begleitet von zwei Agenten des Secret Service. Er lächelte und streckte die Hand aus.
Cox war ungefähr so groß wie Michelle und damit fast einen Kopf kleiner als Sean, aber er hatte breite Schultern, und auch mit fünfzig Jahren wirkte sein Gesicht noch jugendlich. Das war bemerkenswert, besonders wenn man bedachte, wie viele Jahre er schon unter den Augen der Welt verbracht hatte.
Sean und Michelle schüttelten dem Präsidenten die Hand.
»Ich bin überrascht, dich zu sehen«, sagte Jane.
»Ich habe meine restlichen Termine für heute abgesagt«, erklärte Cox. »Meinen Leuten hat das zwar nicht gefallen, aber es hat auch seine Vorteile, Präsident zu sein. Und wenn man in den Umfragen mit fünfundzwanzig Punkten vorne liegt und dein Gegner mehr mit dir übereinstimmt, als dass er dir widerspricht, ist dann und wann ein freier Tag drin. Selbst wenn ich im Rennen hinten liegen würde, käme Willa an erster Stelle.«
Jane lächelte
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