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Kampfes verlor er nicht ein Mal seine Ruhe und sein Mitgefühl. Wenn ich mal groà bin, will ich so sein wie er.
Die Spur im Wasser
Was aber ist in den Lebenssituationen zu tun, in denen man ungute Gedanken oder Gefühle tatsächlich dämpfen muss?
Ich denke, man sollte sich zunächst fragen, ob sich die Entstehung unguter Gedanken oder Gefühle grundsätzlich verhindern lässt. Meiner persönlichen Erfahrung nach würde ich dies für unmöglich halten. Paul Ekman, einer der gröÃten Psychologen der Welt, hat mir sogar erzählt, dass er sich genau über dieses Thema mit dem Dalai-Lama unterhalten habe. Beide sind der Ansicht, dass man Gedanken oder Gefühle nicht am Entstehen hindern könne. Demnach muss dies die korrekte Antwort sein. SchlieÃlich können wir â Paul, der Dalai-Lama und ich â nicht alle irren, oder?
Der Dalai-Lama machte allerdings auf einen weiteren wichtigen Punkt aufmerksam: Wir können zwar nicht verhindern, dass ungute Gedanken oder Gefühle entstehen. Wir haben allerdings sehr wohl die Macht, sie wieder loszulassen â was einem geschulten Geist unmittelbar im Augenblick ihrer Entstehung gelingt.
Der Buddha fand ein sehr schönes Bild für diese Geisteshaltung.
Er vergleicht sie mit einer »Spur im Wasser«. 2 Wenn in einem erleuchteten Geist ungute Gedanken oder Gefühle entstehen, ist dies, als seien sie auf Wasser geschrieben: Ihre Spur verschwindet noch im selben Augenblick, in dem sie geschrieben werden.
»Mein Klient möchte, dass die Vereinbarung auf Wasser geschrieben wird.«
Die Praxis des Loslassens
Eine der wichtigsten lebensverändernden Erkenntnisse, die man beim Meditieren gewinnen kann, ist die Einsicht, dass ein qualitativer Unterschied zwischen Schmerz und Leiden besteht. Das eine muss nicht zwangsläufig auf das andere folgen. Diese Erkenntnis hat ihren Ursprung in der Praxis des Loslassens.
Loslassen zu können ist eine sehr wichtige Fähigkeit und eine der Grundlagen der Meditationspraxis. Wie üblich formuliert die Zen-Tradition diese Schlüsselerkenntnis am humorvollsten. Um es mit Sengcan, dem dritten chinesischen Zen-Patriarchen, zu sagen: »Der höchste Weg ist nicht schwer. Du musst dich nur von deinen Vorlieben lösen.« 3 Aus der zentralen Bedeutung des Loslassens ergibt sich eine wichtig Frage: Kann man einerseits loslassen, andererseits das Auf und Ab des Lebens schätzen und vollständig erleben? Ich würde diese Frage gern so formulieren: Kann man sein Karma haben und trotzdem Kuchen essen?
Ich glaube, dass das möglich ist. Man muss nur zwei Dinge loslassen: Anhaftung und Abneigung. Beim Anhaften hält der Geist verzweifelt an etwas fest und will es nicht loslassen. Bei der Abneigung hält er verzweifelt etwas von sich fern und will es nicht an sich heranlassen. Beide Eigenschaften bilden ein Gegensatzpaar. Anhaftung und Abneigung machen zusammengenommen einen enormen Prozentsatz unseres Leidens aus, vielleicht 90 Prozent, vielleicht sogar 100 Prozent.
Jede Erfahrung beginnt mit einem Kontakt zwischen Sinnesorgan und Objekt. Danach entstehen Empfindung und Wahrnehmung, und sofort folgen Anhaftung oder Abneigung. (Einige Meditationstraditionen betrachten auch den Geist als einen Sinn und weiten dieses Erfahrungsmodell damit elegant auf geistige wie körperliche Phänomene aus.) Die entscheidende Erkenntnis in diesem Zusammenhang lautet, dass Anhaften und Abneigung einerseits sowie Empfindung und Wahrnehmung andererseits voneinander getrennt sind. Sie folgen nur so rasch aufeinander, dass wir den Unterschied meist nicht bemerken.
Je stärker Ihre Achtsamkeitspraxis wird, desto deutlicher erkennen Sie unter Umständen nicht nur diesen Unterschied, sondern auch den winzigen zeitlichen Abstand dazwischen.
Vielleicht spüren Sie zum Beispiel nach langem Sitzen einen Schmerz im Rücken, der fast unmittelbar von Abneigung gefolgt ist. Sie denken: »Ich hasse diesen Schmerz. Ich will ihn nicht spüren. Er soll verschwinden!« Wenn Sie sich lange genug in Achtsamkeit üben, merken Sie vielleicht, dass Sie es hier mit zwei unterschiedlichen Erfahrungen zu tun haben. Da ist zum einen die Erfahrung von körperlichem Schmerz und zum anderen die davon unabhängige Erfahrung der Abneigung. Der ungeschulte Geist vermischt beide zu einem untrennbaren Ereignis. Der geschulte Geist dagegen erkennt, dass es sich um zwei
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