Sebastian
kauerte sich hinter einem Busch zusammen, um nicht entdeckt zu werden. Leise weinte er, während all die grausamen Worte, die er all die Jahre hatte ertragen müssen, tief in seinem Herzen Wurzeln schlugen.
Als er Schritte auf dem Weg hörte, machte er sich noch kleiner. Aber die Schritte brachen abrupt ab, jemand verließ den Weg und ging um den Busch herum - und er erkannte eine Frau mit dunklem Haar und ebenso dunklen, zornigen Augen.
Er wich zurück vor dem Zorn, den sie verströmte, aber als sie sich niederkniete, war ihre Stimme sanft.
»Wer hat dich geschlagen?«, fragte sie.
»Die Frau«, sagte er leise.
»Deine Mutter?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Frau bei der ich lebe. Sie … kümmert sich um mich.«
»Bist du ein Waise?«
Wieder Kopfschütteln. »Ich kenne meine Mutter nicht. Mein Vater … er will mich nicht, weil ich ein Inkubastard bin.« Er war sich nicht sicher, was das Wort bedeutete, aber er wusste, dass dieses Wort der Grund war, aus dem er niemals an einem sauberen Ort mit freundlichen Menschen leben würde.
»Wie heißt du?«
»Sebastian.«
»Ich bin Nadia.« Sie zögerte, musterte sein Gesicht und sah ihm tief in die grünen Augen. »Bist du Koltaks Sohn?«
Er nickte.
»Naja, dann... bin ich wohl deine Tante.« Sie stand auf und hielt ihm eine Hand entgegen. »Möchtest du mitkommen und bei mir wohnen, Sebastian?«
Aus ihrem Zorn war Traurigkeit geworden, aber in ihrem Innersten lagen unter dieser Trauer eine Wärme und eine Freundlichkeit, die sein junges Herz im Sturm eroberten.
Er stand auf und nahm die Hand, die ihm geboten wurde - und die beiden entfernten sich gemeinsam von der Halle der Zauberer.
Gelegenheit und Entscheidung. So, erklärte ihm Tante Nadia, funktionierten die Strömungen der Macht. Wenn jemand einen Herzenswunsch aussprach, hallte dieser Wunsch durch die Strömungen, und es geschahen Dinge, die demjenigen die Gelegenheit gaben, diesen Wunsch wahr werden zu lassen. Wie ein Tor, das sich nicht ganz schließt. Wie eine Frau, die zornig und besorgt über das Verschwinden ihres Ehemannes einen Weg entlangläuft und plötzlich genau da stehen bleibt, wo sich ein Junge versteckt, der die gleichen grünen Augen hat wie ihre eigenen Kinder. Wie eine Hand, die ausgestreckt - und angenommen wird.
Sebastian schüttelte den Kopf, als er weiterging.
Reise leichten Herzens. Denk an etwas anderes, als an die Vergangenheit. Denk daran, wie es ist, in einer warmen Sommernacht in Philos Innenhof zu sitzen, Wein zu trinken und das Kommen und Gehen der Menschen zu betrachten, die sich einmal die dunkle Seite ansehen wollen. Stell dir vor, in Nadias Küche zu sitzen, in diesem Raum, der selbst am düstersten Tag voller Licht und Wärme ist. Denk an Nadias Vögel, diese schlauen, verspielten kleinen Plappermäuler. Reise leichten Herzens - oder dieser Ort wird dich mit Haut und Haaren verschlingen.
Die Muskeln in seinen Beinen brannten, als er die letzte Stufe erklomm. Sein Herz brannte auch, aber nicht von der Anstrengung.
Ein mit Kopfsteinen gepflasterter Weg führte durch die Steinmauern, welche die Häuser der Reichen schützten, die sich mittlerweile das Plateau mit den Zauberern teilten. Direkt gegenüber lag die Halle der Bittsteller - der einzige Zugang zu dem Gebiet, das die Zauberer als ihr Eigen betrachteten, der dem gemeinen Volk offenstand.
Als er die Straße überquerte, sah er aus dem Augenwinkel das Gebäude, das die rechte Seite des Anwesens der Zauberer beherrschte. Der Turm war das älteste Bauwerk der Stadt und selbst heute, Jahrhunderte nach seiner Errichtung, patrouillierten die Zauberer dort noch immer, hielten noch immer Wache.
Warum? Was hatten sie einst gefürchtet, dass sie auf dem höchsten Hügel der Landschaft ihr Quartier errichteten? Was fürchteten sie immer noch, dass sie weiterhin Wache hielten?
Er schüttelte den Kopf und verbannte diese Gedanken aus seinem Geist. Die Zauberer behaupteten, sie müssten nichts fürchten. Er wusste, dass dies nicht der Wahrheit entsprach - zumindest nicht in den letzten fünfzehn Jahren. Und das war der einzige Grund, aus dem er den Mut schöpfte, diese Stadt zu betreten.
Die Halle der Bittsteller grenzte an die Mauer, die das Herrschaftsgebiet der Zauberer umgab und war von der Halle der Zauberer durch den großen Innenhof und den Garten getrennt, durch den er vor so vielen Jahren gelaufen war. Er wirkte noch immer offen und freundlich, wenn man die Tatsache außer Acht ließ, dass nur eines der
Weitere Kostenlose Bücher