Sechs Brüder wie wir
neue Schnur aufziehen.
Jean Eins und ich hatten uns etwas abseits von den anderen unsere Plätze gesucht, an der Stelle, wo der Teich am tiefsten war.
„Glaubst du an diese Geschichte mit dem Dinosaurier?“, fragte ich Jean Eins, während ich aufmerksam auf meinen Schwimmer blickte.
„Du machst wohl Witze“, feixte er. „Und du?“
„Natürlich nicht“, sagte ich. „Hältst du mich für einen Blödmann?“
„Dann sei jetzt still!“, befahl Jean Eins. „Du jagst meinen Fischen Angst ein.“
„Na, ihr Großen da drüben!“, rief Opa Jean. „Wie läuft’s?“
„Super!“, riefen wir zurück.
Danach herrschte eine Weile lang Schweigen. Opa Jean nutzte die Gelegenheit zu einem Nickerchen auf der karierten Decke, die wir mitgebracht hatten, und wir fünf Jungs standen um den Teich und beobachteten unsere Schwimmer, die träge auf dem Wasser dümpelten.
Ehrlich gesagt, war mir etwas mulmig zumute. Das Wasser war dunkel und trüb, voll merkwürdiger Schatten, die sich in der Tiefe bewegten. Gräser? Abgestorbene Zweige? Schwer zu entscheiden …
Wenn ich darüber nachdachte, war das mit dem Schinken vielleicht doch keine so gute Idee gewesen: Ein Dinosaurier, der die Wahl zwischen vier glitschigen Regenwürmern und einem Stückchen Schinkenspeck hatte, würde bestimmt meinen Köder wählen … Und ich hatte überhaupt keine Lust, mich Auge in Auge mit einem hungrigen prähistorischen Monster wiederzufinden, das seit mehreren Millionen Jahren nichts mehr zu essen bekommen hatte!
Plötzlich tauchte der Schwimmer von Jean Eins unter Wasser. Etwas Großes und Ungestümes hatte ihn nach unten gezogen.
Schwer zu sagen, worum es sich dabei handelte, bei dem aufgewühlten Wasser. Aber ich konnte einen Augenblick die Umrisse eines gedrungenen Körpers mit einem langen Hals und einem ganz kleinen Kopf ausmachen …
„Opa! Der Nido … der Sino … der Dino …!“, stammelte Jean Eins und zerrte heftig an seiner Angel.
Dann machte es ein lautes Mrrrmpfatsch!, was sich ein bisschen so anhörte, wie wenn man in der Badewanne den Stöpsel zieht, und ein grünlicher Gegenstand tauchte aus dem Wasser auf, vollführte einen Gleitflug über die Büsche und landete direkt vor den Füßen von Opa Jean, der mit dem Kescher in der Hand angerannt kam.
„Bravo, Jean Eins!“, rief er. „Guter Fang!“
„Ist er … ähm … ist er tot?“, fragte Jean Eins blass wie ein Regenwurm.
„So tot, wie es nur geht“, sagte Opa und schwenkte triumphierend den Fang von Jean Eins über dem Kopf. „Ein großartiger Gegenstand für die Gartenpflege, der seinem Zustand nach zu urteilen schon lange das Zeitliche gesegnet hat!“
„Ein was?“, fragte Jean Eins.
In Opas Kescher lag von Wasser triefend eine alte Gießkanne, schlammverkrustet und mit Wasserpflanzen bewachsen.
„Na, sieh mal einerrr an! Was machen wirrr denn hierrr?“, schnarrte da auf einmal eine Stimme hinter uns. „Unerrrlaubtes Angeln?“
Es war der Dorfgendarm.
Wegen der Aufregung um den großen Fang von Jean Eins hatte ihn keiner kommen hören. Er trug ein Käppi, hatte einen Schnurrbart wie ein Walross und rollte das R so stark, als hätte er den Mund voller Zuckermandeln.
„Meine Herrrrrren, guten Tag!“, sagte er und tippte dabei mit der Hand an sein Käppi. „Ich bitte um die Vorrrlage Ihrerrr Errrlaubnis!“
„Erlaubnis?“, fragte Opa Jean.
„Haben Sie das Schild nicht gelesen?“, erwiderte der Dorfgendarm, der Block und Stift zückte. „Fischen ohne Errrlaubnis strrreng verrrboten! Dafürrr gibt es eine Strrra…“
„Wir angeln gar keine Fische“, unterbrach ihn Jean Drei.
„Wie? Garrr keine Fische? Was dann?“
„Den S-s-sinodaurier“, lispelte Jean Fünf.
„Was?“
„Den Dinosaurier“, verbesserte Jean Eins.
„Seine Gießkanne haben wir schon“, sagte Jean Vier und hielt ihm unseren großen Fang unter die Nase.
„Die braucht er zur Gartenarbeit“, erklärte Jean Drei.
„Ein Dinosaurrrierrr, hierrr?“, fragte der Gendarm mit erschrocken aufgerissenen Augen.
„Guter Mann“, sagte Opa mit einem kleinen Lächeln, „haben Sie nie ohne Erlaubnis Ungeheuer gejagt, als Sie klein waren? Seit wann braucht man für Kinderträume einen Angelschein?“
Der Gendarm strich sich nachdenklich über seinen Schnurrbart und musterte uns einen nach dem anderen.
„Sie haben Rrrecht“, sagte er schließlich mit einem Seufzer und steckte Block und Stift wieder ein. „Und wenn es diesen Dinosaurrrierrr wirrrklich gibt,
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