Sechs Richtige (German Edition)
Meilen, das dauert nur ein paar Stunden, wenn der Wind passt, und dann fallen wir trocken, essen draußen und so.»
«Und wenn das Wasser plötzlich zurückkommt?», fragte Jan.
«Das sind doch die Gezeiten», sagte Fridtjof und schaute seinen Freund so an, als hätte der gefragt, ob Rot eine Farbe sei. «Ein paar Stunden Zeit hat man da logischerweise immer. Coole Sache. Komm, wir machen das Boot klar.»
15
«Mensch, ist das schön hier, himmlisch!» Fiffi klatschte aufgeregt in die Hände. «Was werden wir hier einen Spaß haben. Jérôme, jetzt sag doch auch mal was!»
Jérôme sagte gar nichts, er stand nur herum und streichelte den Berner Sennenhund, der dauernd nieste. «Gustav verträgt nur Stadtluft. Seeluft ist Gift für seine Lungen.» Er hatte schlechte Laune und benahm sich wie eine Diva. Seit der Ankunft mit dem Schiff hatte er kein einziges Mal gelächelt.
«Die Mädchen sind alle seekrank geworden», erzählte Fiffi, und Vanessa, Antonia, Frauke und alle anderen konnten gar nicht glauben, dass sie wirklich vor ihnen stand. Fiffi sah in natura noch besser aus als in den Magazinen oder im Fernsehen. Und sie war so sympathisch, dass man sie einfach nur gernhaben konnte. Sie war groß und schlank, aber nicht dürr wie die ganzen Magermodels, hatte lange rotbraune Locken, ein paar Sommersprossen auf ihrer sehr hellen Haut, wunderschöne dunkle Augen und eine süße Stupsnase. Ihre Lippen waren perfekt geformt, und Fiffi war kaum geschminkt. Sie war super angezogen. Lässig, aber genial schick. Marie-Christine, die natürlich auch da war, schaute Fiffi an wie eine Madonnenerscheinung.
«Mit den Stockbetten ist das ja wie im Internat!», rief Fiffi, als sie die Zimmer besichtigten. «Mein Gott, da können wir uns gegenseitig nachts besuchen, aber nicht die Jungs die Mädchen, hihi!» Sie grinste Jérôme an, der wieder nichts sagte, dafür nieste Gustav.
«Dschises Kreist!», rief Jérôme plötzlich und verzog das Gesicht. «Ihr glaubt ja wohl nicht, dass ich in so einem Gemeinschaftsschlafraum nächtige. Ich brauche Raum für meine Kreativität und Eingebungen. Ich brauche Platz für meine Stifte und die Zeichenblöcke. Man kann nicht von mir verlangen, dass ich eine Leiter hochklettere, um zu schlafen. Nie im Leben.»
«Du kannst unten schlafen», sagte einer der Kameramänner, ein riesiger, tätowierter Kerl, der wie der Anführer einer Gefängnisgang aussah und es vielleicht sogar mal war.
Jérôme blieb erstarrt stehen und sagte: «Eher entwerfe ich Mode für Versandhäuser.»
Der Tätowierte zuckte mit den Schultern und wandte sich ab.
«Natürlich können Sie ein eigenes Zimmer haben», sagte Astrid, die das Ganze amüsierte. «Die ganze Herberge steht Ihnen komplett zur Verfügung. Wir haben Betten genug.»
«Gute Frau, das
weiß
ich», sagte Jérôme. «Glauben Sie im Ernst, sonst wäre ich hierher gekommen? Ganz. Sicher. Nicht.»
‹Vollidiot›, dachte Astrid, während Lilly sich vornahm, etwas über Jérôme Langhammer zu lesen. Warum war er wohl so, wie er war? Vielleicht hatte er eine schwere Kindheit gehabt?
Dass er einen an der Klatsche hatte, war ja wohl klar. Wer schlief denn bitte nicht gern oben in einem Stockbett?
Fridtjof und Jan hatten sich für ein paar Tage verabschiedet, das Boot voll mit Lebensmitteln, Wasser und Cola gepackt, und nun fuhren sie Richtung Büsum. Die Oktobersonne schien warm vom Himmel, die Möwen drehten ihre Kreise, und das Wasser glitzerte. Jeder Postkartenfotograf hätte seine helle Freude an diesem Bild. Der Wind passte gut, und sie kamen schnell voran. Viel gesprochen wurde nicht. Jan war an der Pinne und bekam hin und wieder Tipps von Fridtjof.
«Klappt echt gut», sagte er. «Das wird was. Wenn du so weitermachst, können wir mal ’ne Regatta segeln.»
Jan freute sich. Alles lief bestens. Und er war gespannt aufs Trockenfallen.
Zum Abendessen – die Agentur hatte die Prönkels gebeten, zwar gesunde Sachen einzukaufen, aber bitte nicht nur Salat mit gedachter Putenbrust – gab es Gemüsesuppe mit ein bisschen Fleisch, zum Nachtisch Obstsalat.
Fiffi klatschte in die Hände. Sie klatschte ständig in die Hände, offenbar gefiel ihr das.
«Noch mal, ich freu mich wie blöd, hier zu sein. Ihr wisst ja, dass ich total zufällig zum Modeln gekommen bin. Es war so …» Und sie erzählte zum tausendsten Mal die Geschichte, wie sie auf der Straße entdeckt worden war. Alle, die hier saßen, hatten diese Story schon zigmal gehört, aber
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