Sechs Richtige (German Edition)
plötzlich wieder vorsichtig war, weil sie an die Sache mit Sophia denken musste. Sie trank einen Schluck Cola und schaute auf die Nordsee, leise schwappte das Wasser hin und her. Sie waren noch mal zur Düne rübergefahren und saßen nun im Restaurant.
«Komm übrigens bloß nicht auf die Idee, mich zu fragen», sagte Frauke dann. «Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen, ganz im Ernst. Ich mag das gar nicht. Wähl lieber eine aus, die heiß darauf ist.»
«Ja, mon amour, nimm misch, nimm misch!», schrie Marie-Christine. «Isch wärdäää sterbäään, wenn nischt!»
Sie stand auf und kletterte auf den wackligen Tisch, hob beide Hände gen Himmel, spreizte ein Bein ab und schrie: «Ir kommt die Gesischt des Jahres! Marie-Christine ist unsärre neue Model und wird die Gesischt von alle Cover der Wält!»
«Es heißt
Face of the year
und nicht
Gesicht des Jahres
. Und jetzt hör auf und komm da runter!», rief Lara. «Der Tisch kracht ja gleich zusammen.»
«Oh, oh, oh, isch will mein Läbäääään dafür gäääbäääään, wenn isch dabei sein kann!», ging es weiter, und nun machte Marie-Christine noch mit den Armen Bewegungen wie ein Vogel. Das erste Glas kippte um; der Inhalt floss über den Tisch.
«Das ist nicht witzig!», rief Jasmin. «Willst du da runterfliegen?»
«Wie ein Vogäääääl!» Marie-Christine wedelte und wedelte. «Säht iiiir nischt mein Talent? Isch bin die Bääääste!»
Jasmin verdrehte die Augen. «Du bist die Blödeste.»
Marie-Christine ließ die Arme sinken. «Ist ja schon gut, isch komme wiedääär herab zu oisch!»
In diesem Moment krachte der Holztisch in der Mitte durch, alle sprangen entsetzt von ihren Stühlen hoch und wichen zurück, und Marie-Christine sauste wie ein Stein nach unten auf den Boden.
Sie heulte laut auf, und obwohl der Sand den Sturz dämpfte, schien sie sich wehgetan zu haben, denn als sie sich aufrappelte, sah man überall Blut.
«Die Gläser, die Gläser», stammelte sie und vergaß sogar ihren französischen Akzent. «Sie sind kaputtgegangen, und ich bin reingetreten. Aua, die Scherben, au, au, au!»
«Meine Güte», sagte Frauke. «Als ob hier nicht schon genug los wäre. Wartet mal, ich geh rein zu Rickmer und frag ihn, ob er Verbandszeug hat.»
Kurze Zeit später kam sie mit allem, was nötig war, zurück. «Wie gut, dass ich einen Erste-Hilfe-Kurs belegt habe. Letzten Winter», sagte sie. «Was macht man nicht alles, um die grauen Tage rumzukriegen.»
«Jetzt kann isch nischt mitmachen», klagte Marie-Christine. «Mein Leben ist vorbei. Aber vielleischt kann isch bei Fiffi Assistentin sein. Das wäre doch was.» Sie hob anklagend ihren blutigen Fuß hoch, und die anderen verdrehten die Augen. Frauke versorgte Marie-Christine, die unter lautem Wehklagen behauptete, gleich sterben zu müssen.
Sie tat Antonia wirklich leid, aber andererseits war sie auch erleichtert, dass Marie-Christine nun ausfiel, denn der Plan war ja ein anderer. Zufrieden schaute sie auf den verbundenen Fuß und kam sich gleichzeitig mies vor. Aber was nicht ging, das ging nicht.
«Kommt mal alle her», sagte da Vanessa. Sie waren zum Wasser runtergegangen, gleich würde die Sonne untergehen. Es war noch halbwegs warm, dünne Jacken reichten, die Oktobersonne hatte noch ziemlich viel Kraft, und so saßen die ganzen Mädchen beieinander und schauten auf den roten Ball, der langsam am Horizont verschwand.
«Egal, was wird», sagte Vanessa. «Wir versprechen uns jetzt, dass wir zusammenhalten.»
«Huch, was ist mit dir denn los?», fragte Antonia verwundert. So kannte sie die Schwester gar nicht.
«Ich möchte nicht, dass wir anfangen, missgünstig und neidisch zu werden. Also so, wie Fiffi es eben auch nicht will.» Sie machte eine Pause, und alle warteten darauf, dass sie in die Hände klatschen würde, aber sie sah nur reihum alle ernst an.
«Hier ist doch niemand neidisch», sagte Lara.
«Eben. Und das ist auch total klasse. Das muss unbedingt so bleiben. Bei uns beiden haben ja genau die angerufen, die sich ewig nicht gemeldet haben. Klar, jetzt rufen sie an, weil sie was wollen, vorher waren wir ihnen total egal.»
«Das denkst du», sagte Lena. «Meine beiden Cousinen haben mir ungefähr hundertmal auf die Box gequatscht und dreitausend SMS geschrieben. Ich hab ihnen aber nicht geantwortet.»
«So ging’s mir auch», erzählte Frauke, die kurz nachgedacht hatte. «Ich war ziemlich gut mit einer befreundet, die vor ein paar Jahren hier Urlaub gemacht
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