Sechs Richtige (German Edition)
unter Wasser zu bleiben, er hatte auch Angst davor, dass der Wal irgendwann merken könnte, dass Menschen ganz gut schmecken. Hatten Wale eigentlich einen Schluckreflex oder nicht? Was fraßen sie? War das nicht dieses Plankton, aber das tonnenweise? Würde er sie für Plankton halten? Waren Wale Fleischfresser? Jan wollte es gar nicht wissen. Noch war er am Leben, noch.
Durch die hohe Geschwindigkeit war es ihnen unmöglich, irgendwas zu tun, außer abzuwarten. Und so warteten sie auf dem Boot, hielten sich fest und wussten nicht, dass momentan die ganze Welt von ihnen sprach. Aus dem Helikopter filmte ein Kamerateam, und die Bilder wurden live von Australien bis nach Zell am See übertragen.
In der Jugendherberge saßen immer noch alle gebannt vor dem großen Fernseher. Astrid versuchte, nicht zu heulen. In der ganzen Aufregung um Jan und Fridtjof hatte man Bonnie und Lilly total vergessen.
«Kennst du das Gefühl, dass man das, was man sieht, nicht glauben kann? Also wirklich nicht glauben kann?»
«Ja, das kenne ich», antwortete Lilly. «Die Zimmer meiner großen Schwestern sehen so aus.»
«Lilly», sagte Bonnie. «Hättest du das jemals geglaubt?»
«Nein», sagte Lilly. «Niemals. Niemals hätte ich gedacht, dass ich so was mal erleben würde.»
«Ja», sagte Bonnie. «Auf Helgoland ist eben immer was los.»
«Ich weiß, was wir mit dem Schatz machen werden», sagte Lilly ernst.
«Und was?»
«Komm, wir fangen an, die Sachen rauszutragen. Dann sag ich es dir.»
«Mia, ich weiß es nicht, wirklich nicht. Aber du siehst ja im Fernsehen, dass es ihm gutgeht», sagte Antonia zu Jans Freundin, die im Sekundentakt anrief und abwechselnd heulte und hysterisch herumschrie. Überhaupt klingelten alle Telefone ununterbrochen. Jeder wollte Infos oder Interviews. In dem Moment sah sie, dass die Jungs gleichzeitig das Seil ergattern konnten, das vom Helikopter runterhing. Der Wal war langsamer geworden, auch er schien irgendwann Ruhe zu brauchen, was die Rettungsaktion etwas vereinfachte.
«Jetzt festhalten. Gut festhalten!», brüllte der Mann von oben, und dann wurden die beiden hochgezogen. Finni rastete total aus. Der Helikopter drehte ab, und der Wal schwamm mit dem Boot auf dem Rücken hinterher, als gäbe es kein Morgen mehr. Dann sahen sie die beiden Jungs oben im Helikopter, sie winkten in die Kamera.
«O mein Gott, danke», sagte Astrid.
«Wie gut, dass man von hier aus direkt nach draußen kann.» Lilly wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie hatten nur einige Felsbrocken zur Seite räumen müssen, die nicht besonders groß gewesen waren. Vorher hatten sie eine Art Treppe runtergehen müssen. Die Höhle war von außen nicht als Höhle zu erkennen gewesen. Wer auch immer die Felsstücke da hingetan hatte, musste sehr geschickt gewesen sein.
«So», sagte Bonnie. «Jetzt klettern wir wieder hoch, und ich hole ein Boot. Jens lässt die Schlüssel von den Motordingern ja immer offen rumliegen, selbst schuld, wenn wir jetzt eins nehmen.»
«Gut. Kannst du mit so einem Ding umgehen?»
«Ab heute ja.»
19
Auf der Insel war der Teufel los. Zwei außerplanmäßige Fähren waren angekommen, Fernsehteams aus aller Welt waren auf dem kleinen Flughafen gelandet, und überall herrschte ein Gewusel, das schlimmer war als in der Hochsaison.
Jan und Fridtjof war nichts passiert, sie mussten ein Interview nach dem anderen geben und wurden als Helden gefeiert. Jans ehemalige Klassenkameraden riefen an, und im Fernsehen sah man auch ein paar von ihnen Interviews geben. Natürlich war Jan von jedem Einzelnen der beste Freund. Die meisten aber kannte er nicht mal persönlich. Die, mit denen er wirklich was zu tun gehabt hatte, sagten zwar auch was, spielten sich aber nicht in den Vordergrund. Natürlich hatte man auch Mia gefragt, ob sie bereit für ein Interview sei, aber die war schon unterwegs nach Helgoland gewesen.
«Warum halten sich eigentlich die, die was zu sagen hätten, so im Hintergrund?», sinnierte Vanessa vor sich hin.
«Keine Ahnung», sagte Antonia. «Vielleicht weil es wirkliche Freunde sind. Möglicherweise ist es gar nicht so schlecht, dass wir hier sind und Zeit haben, mal ein bisschen auszusortieren. Da hatte Frauke schon recht.»
Sie warteten darauf, dass sie endlich zu den beiden gehen konnten, aber sie wurden immer noch von der Presse belagert.
Auch die Inselbewohner hielten sich zurück. Hier musste sich niemand etwas beweisen.
«Da soll noch mal einer sagen, dass in
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